Fabrik für Schwarze Löcher

Bereits in wenigen Monaten könnten im CERN bei Genf winzige Schwarze Löcher wie am Fließband produziert werden – dies wäre der Beweis, dass unser Raum mehr als drei Dimensionen hat

Breite, Länge, Höhe, … Können Sie diese Wortfolge fortsetzen? Bisher kann das niemand. Denn noch haben Physiker keine Worte für die zusätzlichen Raumdimensionen erfunden, die sich möglicherweise in unserem Universum verstecken. Bisher gibt es nicht einmal experimentelle Hinweise dafür, dass diese theoretisch vorhergesagten Dimensionen überhaupt existieren. Doch das könnte sich bald ändern – vielleicht noch in diesem Jahr. Denn wenn alles glatt läuft, soll in wenigen Monaten im Europäischen Labor für Teilchenphysik CERN bei Genf der neue Teilchenbeschleuniger LHC seinen Betrieb aufnehmen. Wenn die versteckten Raumdimensionen tatsächlich existieren und darüber hinaus eine bestimmte Größe erreichen, dann wird der LHC Unmengen winziger Schwarzer Löcher produzieren, wie Marcus Bleicher von der Universität Frankfurt berechnet hat.

Mit dem neuen Teilchenbeschleuniger LHC hoffen die CERN-Forscher, dem Geheimnis weiterer Raumdimensionen auf die Spur zu kommen. Foto: Maximilien Brice, CERN Bei dem Begriff Schwarzes Loch denkt man zunächst an die gigantischen Schwerkraftfallen, die alles in sich hineinsaugen, was ihnen zu nahe kommt. Ein solches Monster mit der Masse von drei Millionen Sonnen sitzt beispielsweise im Zentrum unserer Milchstraße. Doch für die Größe eines Schwarzen Lochs gibt es keine Untergrenze. Theoretisch können Schwarze Löcher fast beliebig klein sein. Praktisch stellt sich dabei jedoch ein Problem: Ein Objekt kann sich nur dann in ein Schwarzes Loch verwandeln, wenn seine Materie so weit „zusammengequetscht“ wird, dass es den so genannten Schwarzschild-Radius unterschreitet. Die gesamte Masse der Erde müsste man dazu beispielsweise in eine Kugel mit dem Radius neun Millimeter hineinquetschen.

Gemäß Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie ist dieser Schwarzschild-Radius proportional zur Masse des Objektes. Im Gegensatz dazu gilt aber zwischen dem tatsächlichen Radius eines kugelförmigen Objektes und seiner Masse die Regel: Verdoppelt man den Radius, dann wird die Masse bei gleichbleibender Dichte vervierfacht. Oder anders ausgedrückt: Stern B, der ein Viertel der Masse von Stern A hat, hat den halben Radius von A. Aber: Der Schwarzschild-Radius von B ist nur ein Viertel so groß wie der von A. Das heißt: Je kleiner ein Objekt ist, desto mehr muss man es zusammenquetschen, damit es den Schwarzschild-Radius unterschreiten und zum Schwarzen Loch werden kann.

Ein Beispiel: Die Sonne hat einen Durchmesser von 1,4 Millionen Kilometer. Um aus ihr ein Schwarzes Loch zu machen, müsste man ihren Durchmesser „nur“ um den Faktor 250.000 verkleinern. Man erhielte dann ein Schwarzes Loch mit einem Durchmesser von etwa sechs Kilometer. Den Durchmesser der Erde – etwa 13.000 Kilometer – müsste man hingegen um einen Faktor von fast einer Milliarde verkleinern, um ein Schwarzes Loch mit einem Durchmesser von etwa 18 Millimeter zu erhalten.

Deshalb galt es bis vor wenigen Jahren als schier unmöglich, Schwarze Minilöcher künstlich auf der Erde zu erzeugen. Denn die dazu erforderlichen Energien könnte nur ein Teilchenbeschleuniger bereitstellen, der mindestens die Größe unseres Sonnensystems hätte. Doch die Berechnungen würden sich schlagartig ändern, wenn unser Raum außer den offensichtlich vorhandenen drei Dimensionen noch weitere versteckte Dimensionen hätte. Die Existenz solcher zusätzlichen Raumdimensionen wird von der Stringtheorie vorhergesagt, die unter vielen Physikern als der heißeste Kandidat für die „Theorie von Allem“ gilt.

Wenn es diese Dimensionen gibt, dann müssen sie „versteckt“ sein, da wir sie offensichtlich nicht sehen und es bisher auch noch nicht gelungen ist, ihre Existenz in physikalischen Experimenten nachzuweisen. Die Theoretiker nehmen an, dass diese Dimensionen auf kleinstem Raum aufgerollt sind. So erscheint beispielsweise auch ein Gartenschlauch, der ja aus einer aufgerollten Gummihaut besteht, aus großer Entfernung lediglich wie ein eindimensionaler Strich in der Landschaft. Ähnlich soll es sich mit den versteckten Raumdimensionen verhalten. Nur Objekte, die kleiner sind als der „Aufrollradius“ dieser Dimensionen, können ihre Auswirkungen spüren.

Wie groß dieser Aufrollradius ist, wird von der Stringtheorie – besser gesagt: von ihren verschiedenen Varianten – nicht eindeutig vorhergesagt. Aufgrund von Experimenten steht lediglich fest, dass die versteckten aufgerollten Dimensionen nicht größer als etwa ein Zwanzigstel Millimeter sein können.

Der springende Punkt ist nun: Das Gravitationsgesetz und damit die Stärke der Gravitation ändern sich dramatisch, wenn der Raum mehr als drei Dimensionen hat. Während im dreidimensionalen Raum die Gravitationskraft mit dem Quadrat des Abstandes abnimmt, nimmt sie in einem vierdimensionalen Raum mit der dritten Potenz des Abstandes ab, in fünf Dimensionen mit der vierten Potenz und so weiter. Umgekehrt ausgedrückt: Bei Verringerung des Abstandes nimmt die Stärke der Gravitation mit der entsprechenden Potenz zu. Diese Zunahme entfaltet ihre Wirkung, wenn ein Objekt so klein ist, dass es die aufgerollten Dimensionen „spürt“.

Aus diesem Grund ist die Erzeugung eines Schwarzen Minilochs sehr viel leichter, wenn zusätzliche Raumdimensionen existieren. Nach den Berechnungen von Marcus Bleicher reichen die im „Großen Hadronenbeschleuniger“ LHC erzeugten Energien für die Erzeugung von Schwarzen Minilöchern mit der Masse von einigen Atomen aus – vorausgesetzt, die Aufrollradien der versteckten Dimensionen sind hinreichend groß. Bei zwei aufgerollten „großen“ Dimensionen müssten die Aufrollradien in der Größenordnung von einem zehntel Millimeter liegen – was experimentell bereits ausgeschlossen worden ist. Sind jedoch alle sieben von der Stringtheorie geforderten zusätzlichen Dimensionen hinreichend groß, dann bedeutet „hinreichend“ in diesem Fall Aufrollradien in der Größenordnung von einem billiardstel Millimeter. Die „Produktionsrate“ im LHC betrüge Bleichers Rechnungen zufolge eine Milliarde Schwarzer Minilöcher pro Jahr!

Vielen Lesern drängt sich jetzt möglicherweise die Frage auf: Sind die Physiker denn eigentlich von allen guten Geistern verlassen? Schwarze Löcher saugen doch mit ihrer Schwerkraft alles in sich hinein, was ihnen zu nahe kommt. Dadurch wachsen sie und werden noch gefährlicher. Besteht denn nicht die Gefahr, dass die Schwarzen Minilöcher zunächst ihre Umgebung und dann die ganze Erde verschlingen?

Diese Gefahr bestünde, wenn die Minilöcher denn lange genug „leben“ würden, um ihren grenzenlosen Appetit auf jede Form von Materie zu stillen. Doch nach Berechnungen, die der britische Physiker Stephen Hawking vor mehr als dreißig Jahren durchgeführt hat, strahlen Schwarze Löcher Materie ab. Für astronomisch große Schwarze Löcher mit der Masse eines Sterns ist der Materieverlust durch die Hawking-Strahlung vernachlässigbar. Selbst dann, wenn sie keinen Nachschub an Materie bekommen würden, ist ihre Lebensdauer sehr viel größer als das Alter des Universums. Doch bei den Minilöchern ist das anders. Sie zerstrahlen innerhalb eines winzigen Sekundenbruchteils vollständig. Sabine Hossenfelder vom Perimeter-Institut für Theoretische Physik im kanadischen Waterloo hat berechnet, dass die Minilöcher, um zu überleben, eine billionmal schneller Masse in sich hineinsaugen müssten, als sie das tatsächlich können.

Doch was ist, wenn Stephen Hawking sich geirrt hat? Dann bleibt ein Argument, dass auch die letzten Zweifler von der Ungefährlichkeit der Schwarzen Minilöcher überzeugen sollte: Wenn die hinreichend großen Extradimensionen existieren, dann werden nicht nur in Zukunft Schwarze Minilöcher im LHC erzeugt werden, sondern dann sind bereits in der Vergangenheit unzählige dieser Minilöcher in der Erdatmosphäre erzeugt worden – durch energiereiche kosmische Strahlung, die dort auf Luftmoleküle trifft. Da diese Minilöcher nicht dazu in der Lage waren, die Erde zu verschlingen, werden es ihre zukünftigen „Brüder“ auch nicht können.

Marcus Bleicher: European Journal of Physics 28, 509 (2007) und arXiv.org physics/0703062

Sabine Hossenfelder: arXiv.org hep-ph/0412265

Axel Tillemans

© wissenschaft.de, Konradin Relations GmbH 2006

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