Fern ab der Realität – die Superreichen

Sie wohnen in verbarrikadierten Häusern, fliegen im Privatjet – und Steuern zahlen immer die anderen. Superreiche sind nicht mehr von dieser Welt.

Will man die jüngsten Steuerskandale diskutieren, dann stößt man schnell an rhetorische Grenzen. Denn in den Stammtischargumenten und Schlagzeilen der Boulevardpresse findet sich immer noch das antiquierte Bild vom „ihr da oben, wir da unten“. Das aber geht davon aus, dass die Reichen und Mächtigen in der selben Welt leben wie die Normalverdiener und Durchschnittsbürger.

Und das tun sie schon lange nicht mehr. Denn es geht nicht mehr um oben und unten oder links und rechts. Der neue Gegensatz ist vielmehr zwischen wir hier drinnen, ihr da draußen. Da reicht schon ein Blick auf die Entwicklung von Design und Architektur in den letzten anderthalb Jahrzehnten, in jener Zeit also, in der sich eine ganz neue Klasse des superreichen Weltbürgers etablieren konnte.

Die nicht nur anders leben, sondern auch anders denken. Das Lebensmotto dieser neuen Elite formulierte die milliardenschwere New Yorker Hotelbesitzerin Leona Helmsley zu Beginn dieser Ära, im Jahre 1989, als sie sagte: „Wir zahlen keine Steuern. Nur die kleinen Leute zahlen Steuern.“

Nimmt man die Entwicklung der Luxusautomobile seit Mitte des 20. Jahrhunderts, kann man die Entfremdung der Reichen von der Welt bildlich darstellen. In den fünfziger Jahren war der Inbegriff des Luxus eine Limousine. Mercedes und Cadillac bauten jene Wagen, die als Straßenkreuzer das prunkvolle Bild von der Luxusyacht zu Lande beschwörten, Porsche und Ferrari die Sportwagen, die Überlegenheit durch Geschwindigkeit bewiesen.

>Hinter Mauern und Fassaden

Die neue Klasse der Luxuswagen aber basiert auf dem Grundmuster von Nutzfahrzeugen. Allerdings haben so genannte Sport Utility Vehicles nur noch in der Anmutung etwas mit den Geländewagen der Vergangenheit zu tun. Viele Luxusgeländewagen haben kaum noch die Bodenfreiheit, um einen Bordstein zu überwinden, geschweige denn einen geländegängigen Vierradantrieb.

Die eigentliche Funktion dieser Fahrzeuge ist es, ihre Fahrer und Passagiere von der Außenwelt abzuschirmen. Da sitzen sie weit über dem automobilen Proletariat in luftiger Höhe, die verdunkelten Scheiben schützen weniger vor Sonne als vor neugierigen Blicken, und ihre Geräumigkeit dient vor allem dazu, eine Inneneinrichtung unterzubringen, die mit mächtigen Ledersitzen und üppigen Konsolen das Interieur eines Salons beschwören.

Ähnliche Entwicklungen kann man auch in der Architektur beobachten. Dienten die Villen des 19. und 20. Jahrhunderts noch dazu, Ehrfurcht vor dem Reichtum zu erzeugen, so verstecken die Bewohner modernistischer Luxushäuser in Hollywood und Grünwald ihren Status hinter Mauern und Fassaden, die von außen eher an eine Lagerhalle oder einen Werkhof erinnern denn an die Kreation eines teuren Architekten wie Rem Koolhaas und Frank Gehry.

>Wettlauf mit der Zeit

Dabei ist die Flucht der Reichen aus der Welt ein ständiger Wettlauf mit der Demokratisierung des Wohlstandes. Da brachte American Express erst die Gold Card, dann die Platin Card auf den Markt, die heute jeder besserverdienende Angestellte bekommt, weswegen nun die schwarze Centurion als letztes Statussymbol der Superreichen dient.

Wer wirklich etwas auf sich hält, trägt natürlich längst keine Brieftasche mehr bei sich, kein Handy und keinen Schlüsselbund, weil er rund um die Uhr von Assistenten umgeben ist, die ihm Banalitäten wie das Bezahlen, das Wählen von Nummern oder das Aufschließen von Türen abnehmen. Denn bei der Flucht aus der Welt geht es nicht nur um den Raum, sondern um jede noch so banale Geste, die einen Bezug zum wirklichen Leben darstellen könnte.

>Rebellische Maxime

In den USA ist diese Entfremdung so weit fortgeschritten, dass das Wall Street Journal seit 2003 eine Kolumne mit dem Titel „The Wealth Report“ unterhält, in welcher der Wirtschaftsjournalist Robert Frank über Leben und Kultur der Superreichen berichtet. Letztes Jahr verarbeitete er seine Beobachtungen in einem Buch, das er „Richistan“ nannte. Hier beschreibt er die Welt der Reichen: „Sie haben eine eigenständige Welt für ihresgleichen geschaffen, mit einem eigenen Gesundheitssystem, eigenem Reisenetzwerk, einer separaten Wirtschaft. Die Reichen wurden nicht nur reicher, sie wurden zu finanziellen Ausländern, die ihr eigenes Land innerhalb des Landes schufen, ihre eigene Gesellschaft innerhalb der eigenen Gesellschaft.“

„Wer noch Linie fliegt, der ist nicht reich“, ist da nur einer der Maßstäbe, die dort gelten. Auch ein Passagier der ersten Klasse wird noch mit solch lästigen Institutionen wie einem Flughafen mit seinen Sicherheitsvorkehrungen behelligt. Wer aber mit dem Privatjet reist, der landet in den meisten Metropolen auf einem gesonderten Flugfeld, er muss sich weder dem Gang durch den Metalldetektor noch der Befragung durch Zollbeamte unterziehen.

Weil ein Großteil dieser neuen Elite seinen Reichtum aber selbst erwirtschaftet hat, sei es als Manager, Investor oder Innovator, herrscht in dieser Welt keineswegs das traditionsbehaftete Denken des alten Geldes. Im Gegenteil. In den neunziger Jahren lautete das Mantra des Erfolges: „Think outside the box“. Nur wer es schaffte, außerhalb der etablierten Strukturen zu denken, wer die gängigen Regeln und Grenzen ignorierte, missachtete, überlistete, der konnte auch vom Informatikstudenten zum Milliardär, vom BWL-Praktikanten zum Konzernchef aufsteigen. Wer aber sein Leben nach der rebellischen Maxime ausgerichtet hat, Regeln zu missachten und dafür so reich belohnt wurde – warum soll er sich noch an Gesetze halten?

>Im Rampenlicht

Erschwerend hinzu kommt der Verlust des Verantwortungsprinzips. Ein moderner Konzern wird nicht mehr vom Klischeebild des Fabrikdirektors geleitet. Ein moderner Konzern ist ein offenes System aus Verwaltungsbereichen. Dieses System ist nichts und niemandem verantwortlich.

Der Aufsichtsrat muss sich vielleicht den Aktionären erklären, doch letztlich haben laterale Strukturen und laterales Denken nicht nur schwerfällige Hierarchien eliminiert, sondern eben auch das Gefühl der Verantwortung. Denn es gibt keine letzte Instanz. Nur so kann es kommen, dass die Hauswirtschaftsmilliardärin Martha Stewart so fassungslos reagierte, als sie wegen Insidergeschäften ins Gefängnis musste. Sie habe ihre Strafe doch schon längst bekommen, sagte sie.

Denn die restliche Gesellschaft reagiert nun mit mittelalterlichem Reflex auf diese futuristische Form des Feudalismus. Die Gesellschaft weiß sehr wohl, wie schwer es ist, diese Menschen in die Realität zurückzuholen. Leona Helmsley etwa wurde zu 16 Jahren Gefängnis verurteilt, saß aber nur 19 Monate ab. So bleibt nur der Pranger, um wirklich zu bestrafen. Wer erst einmal als Missetäter durch die Abendnachrichten und Magazinsendungen gereicht wurde, der hat mehr gebüßt, als jede Nach- und Strafzahlung erreichen könnte. So empfand auch Martha Stewart ihre Zeit im Gefängnis als nicht halb so schlimm wie die Monate im Rampenlicht der Prozessberichterstattung.

>Der Medienpranger als letzte Chance?

Beispielsweise zeigte sich die erste Reaktion auf die öffentliche Probe von „Marat, was ist aus unserer Revolution geworden?“ im Schauspielhaus in Form von Anwaltsschreiben.

4 vermögenden Herren drohten mit Einstweiligen Verfügungen. So wollten sie verhindern, im Epilog der aufrührerischen Inszenierung genannt zu werden. Regisseur Volker Lösch lässt hierbei einen Chor aus Arbeitslosen und Hartz-IV-Empfängern einen forschen Sozialplan präsentieren: Wenn die reichsten Hamburger 2,5 Prozent Vermögenssteuer zahlen würden, hätte der Hamburger Haushalt pro Jahr 1,234 Milliarden Euro mehr in der Kasse. Dann verliest der Chor die 28 Namen und Adressen von Hamburger Firmen und Familien, die laut einer Liste des „Manager Magazin Spezial 2008“ zu den 300 reichsten Deutschlands gehören.

Bei der Premiere fehlten die vier Kompromittierten in der langen Liste, der Listenplatz und die Summe des jeweiligen Vermögens wurden indes genannt. So war es auch für die MOPO nicht schwer, die Namen nachzuvollziehen.

Die Empörung erklärt sich aus dem Kontext der provokanten Proklamation heraus. Lösch nutzt das Drama über die Französische Revolution als Steilvorlage, um es mit der brisanten Thematik zu verschneiden. „Marat, was ist aus unserer Revolution geworden?“ – das fragten im Original jene Franzosen, die nicht verstanden, warum Tausende Menschenleben auch nach erfolgreichem Umsturz 1789 noch geopfert werden mussten. Und das fragen hier jene 24 Arbeitslosen aus Hamburg, die nicht verstehen, warum sie vom Arbeitsamt in Jobs vermittelt werden, die rein gar nichts mit ihrer Ausbildung zu tun haben. Und für wirklich sinnvolle Aufbauprogramme fehlt das Geld.

So wird das Leben als Gummizelle zwischen Aldi- und Lidl-Logo inszeniert – jedenfalls für die Ausgegrenzten. Während die sich überlegen, wo die Tütensuppe am billigsten ist, hat der Geldadel seine ganz eigenen Luxussorgen. In diesem Zusammenhang kommt Löschs Steuer-Coup so simpel wie genial daher. Und soweit sich der Regisseur auch von der Drama-Vorlage entfernt – der revolutionäre Charakter, der aufrührerische Ton wird beibehalten.

„Hamburg soll brennen“, brüllt der Chor in den Saal hinein, „Bomben in Sex-Shops“. Und: „Das ganze Geld abschaffen!“ Am Ende ist die Bühne verwüstet, der Chor ruft zum Auftsand auf – klar, dass manch einer das als Anstiftung zur Revolte, mindestens aber als Affront begreift.

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