Präimplantationsdiagnostik: Eine schöne Idee…

Eugenik wird salonfähig

Mit der Öffnung der Präimplantationsdiagnostik wird Konsequenz gezogen: Behinderung und Krankheit fressen die Reserven des Wohlfahrtstaates auf. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft: wer nicht leistet, hat auch nichts verdient (und vertritt damit faktisch Wer hat, dem wird gegeben). Einsparungen bei der Sozialhilfe, der Invaliditätsversicherung, fehlende Lösungen für die Langzeitpflege und das Ausbleiben einer echten Inklusion in Bildung und Wirtschaft: all das sind deutliche Signale für eine Gesellschaft, die Krankheit und Behinderung zwar oberflächlich toleriert, aber in Tat und Wahrheit vermeiden will – ähnlich wie Geistliche, die Homosexuelle durchaus tolerieren können. Es verwundert, dass PID nicht gleich zur Pflichtübung erklärt wird, um „die Gesunden“ noch effizienter vor sozialer Belastung durch Krankheit oder Behinderung zu schützen. Nicht vor Kranken und Behinderten natürlich, nur vor Krankheit und Behinderung…

Menschen à la Carte

Seit Jahrtausenden definieren wir bevorzugte Geschlechter, Hautfarben, Masse sowie Stärken und erklären damit gewisse genetische Variationen für unzulänglicher als andere. Krankheiten waren bis zur Renaissance nichts als Todesboten. Es gab Momente in der Menschheitsgeschichte, während deren ganz unverhohlen abgeschlachtet wurde was für minderwertiges Erbgut gehalten wurde. Dann gab es auch Methoden, die im Schutze von Wissenschaft und Forschung ergriffen wurden, um hinter vorgehaltener Hand eine Reinerhaltung des Erbgutes zu betreiben: Zwangskastrationen und Lobotomien waren jahrzehntelang die Methoden der Wahl, um sich nicht eingestehen zu müssen dass man viele Gebrechen nicht verstand und um zu verschleiern, dass man die Suche nach Lösungen nie wirklich angegangen ist. Aussonderung und Absonderung sind noch heute ganz normale sozio-ökonomische Prozesse, die mit Krankheit und Behinderung einhergehen, auch ihn sogenannten Wohlfahrtsstaaten wie der Schweiz.

Leistungsdruck ohne Weitsicht

Wir konstruieren fleissig unsere eigenes Gen-Gemüse und Gen-Obst, der Effizienz zuliebe, dem Sparen zuliebe. Es ist nur konsequent, dass wir diese Effizienz auch auf unsere Spezies übertragen: es wäre doch besonders praktisch wenn wir alle gleich gross wären, nur noch Kleidung in Einheitsgrösse – was für ein Sieg über das Chaos des Lebens wäre das! Die Anforderungen der modernen Auslese werden durch ein Wirtschaftssystem diktiert, dass unendliches Wachstum fordert und uns immer mehr Leistung für immer weniger Lohn abverlangt während namenlose Fremde an unserer Arbeit verdienen, ohne einen Finger gerührt zu haben. Es fehlt uns an Weitsicht, weil wir von einem wirtschaftlichen Konstrukt beherrscht werden, dass den schnellen Erfolg über die Nachhaltigkeit stellt und damit nur denen eine sichere Existenz zubilligt, die ihm nützlich sind.

Investitionen in die Zukunft

Kinder sind zu einer Investition geworden, die immer wohlüberlegter „getätigt“ werden muss. Wen wundert es dass Eltern das Risiko eines behinderten oder kränklichen Kindes gar nicht erst eingehen wollen? Es herrscht ein politisches Klima, in dem Behinderung und Krankheit keinen Anspruch auf Solidarität sondern ein sozio-ökonomisches Armutszeugnis darstellen. Niemand will sein Kind in dieser Atmosphäre aufwachsen sehen um dabei womöglich noch unfähig zu sein die Kosten der Krankheit zu tragen weil die Solidarität bei gewissen Geburtsgebrechen aus sparpolitischen Gründen endet. Die Gesellschaft gibt deutlich vor, wie eine gute Investition auszusehen hat: gesund, männlich, weiss. Alle anderen Genvariationen führen infolge der Anreize in unserem Land automatisch zu sozioökonomischer Benachteiligung.

Heuchlerische Solidarität

Heute wird oft noch Gutmenschentum geheuchelt, wenn sich ein Paar dazu entscheidet, ein behindertes Kind zu bekommen, doch auf dem Stimmzettel wird jede erdenkliche Sparmassnahme für Behinderte, Kranke und Arme gutgeheissen. Diese Interessenpolitik, die vor allem das Sichern der eigenen Privilegien anstrebt, spielt der latenten Eugenik in die Hände. Gebetsmühlenartig reden die Schweizer Bürger sich ein, dass sie diese Sparmassnahmen ja nie treffen würden und dass doch in unserer reichen Schweiz immer noch für jeden gesorgt würde. Vollkommen vergessen geht dabei, dass Chancengleichheit sicher nicht zustande kommt, wenn eine Hackordnung zementiert wird. Sie ignorieren, dass sie jederzeit Opfer eines Gebrechens werden können, für das sie keine Solidarität erwarten können weil sie sie sich selbst verweigert haben. 

Entwertung per Verfügung

In den letzten Jahren fand eine politisch angeordnete, stete Entwertung von vielen Bürgerinnen und Bürgern statt: viele Chronisch Kranke und Invalide mussten ihren Besitz veräussern, zu Bittstellern bei der Sozialhilfe werden, sich für jede Ausgabe rechtfertigen, waren nicht mehr kreditwürdig und wurden damit dazu verdammt, arm und unverstanden zu sein. Rund 2500 Menschen werden jährlich der Perspektivlosigkeit preisgegeben: man speisst sie mit einem wirtschaftlichen Minimum ab in der Hoffnung, dass man sie eines Tages zu Tode gespart hat – und hält ihre Anzahl für angemessen und vertretbar. Man zwingt sie, ihr Gebrechen wie eine Schuld zu tragen und bestraft sie dafür mit Armut. Ja, Essen und Trinken und ein billiges Dach über dem Kopf können sie sich leisten, sofern ihre Wohngemeinde nicht bereits alle Immobilienagenturen in der Region dazu veranlasst hat, den Mietzins so hoch anzusetzen, dass man die Gemeinde verlassen muss. Aber es ist eine Illusion zu glauben, dass man mit dem Existenzminimum und einem Gebrechen noch Anteil nehmen kann an der Gesellschaft: Kultur und Politik bleiben den Vermögenden vorbehalten. Wer will seinem Kind schon so eine Zukunft zumuten?

Entscheidungen unter Zwang

Es ist die Frage gerechtfertigt, ob man überhaupt noch auf natürliche Weise Kinder zeugen sollte. Wie lange wird es dauern bis gesunde Paare Empfängnisschwierigkeiten vortäuschen werden, nur um sicherzustellen, dass sie mit Hilfe der PID einen halbwegs „brauchbaren Erben“ zeugen? Wieso noch die Willkür der Natur walten lassen, wo sie uns doch ständig mit Unzulänglichkeiten abstraft, die von der Gesellschaft weder toleriert, geschweige denn respektiert werden? Bereits heute muss sich ein IV-Bezüger doch fragen, ob er das Risiko eingehen darf sein Erbgut weiterzugeben: ist er doch jetzt schon als potentieller Betrüger gebrandmarkt! Was wird man erst von ihm halten wenn er auch noch das Risiko eingeht seine Unzulänglichkeit an eine neue Generation weiterzugeben, die soziale Last aufrecht zu erhalten für die Gesellschaft der Gesunden?

Scheiss auf Standard

Das Leben ist Diversifikation und es ist unsere Herausforderung darauf einzugehen. Klassen und Kundengruppen werden niemals das volle Spektrum unserer Individualität erfassen können. Kein einzelnes Leben soll an einem Standard gemessen werden, sondern seinen eigenen darstellen. Wir wachsen an der Herausforderung und gewinnen dadurch stetig unschätzbar wertvolles Wissen: Die Menschheit wird nichts gewinnen, wenn sie das Spektrum ihres Erbguts verringert. Wir schicken bereits heute wertvolle genetische Informationen, die wir noch weitestgehend nicht verstehen, in die Vergessenheit weil die Gesellschaft zu bequem geworden ist, um sich Anderem als dem Standard zu widmen. Das Leben kennt aber keine Norm, sondern nur eine Vielzahl von Möglichkeiten, die alle alleine durch ihre Lebensfähigkeit bedeutungsvoll sind.

…aber die Welt ist nicht bereit dafür

Ich verurteile PID eigentlich nicht grundsätzlich, sondern lediglich die sozioökonomischen Umstände die es derzeit verunmöglichen, dass diese Technologie verantwortungsvoll genutzt wird. Solange die Gesellschaft nur unzureichende Behinderten- und Krankenfürsorge stellt und auf Inklusion verzichtet, solange werden die Menschen nicht frei sein in ihrer Entscheidung darüber, was sie für ein Kind bekommen möchten. PID wird an dieser Unfreiheit nichts ändern.

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.