Sanierung der Arbeitslosenversicherung: von Scheinlösungen und Geizkrägen

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Per Ende Juni 2010 hatte die Arbeitslosenversicherung 7 Milliarden Schulden. Unbestritten ist, dass die derzeit jährlich um eine Milliarde ansteigende Verschuldung des Sozialwerks gestoppt werden muss. Über das wie sind sich die politischen Lager allerdings nicht einig.

Im Frühjahr 2010 hat das Parlament im Rahmen der Revision des Arbeitslosengesetzes beschlossen, bestimmte Leistungen zu kürzen und die Beiträge zu erhöhen. So sollen die Einnahmen jährlich um 646 Millionen Franken höher ausfallen und die Ausgaben um 622 Millionen Franken sinken.

Konkret will die bürgerliche Parlamentsmehrheit auf der Einnahmenseite die Beiträge um 0,2 Punkte auf 2,2 Lohnprozente anheben und Einkommen zwischen 126’000 und 315’000 Franken mit einem zusätzlichen Solidaritätsprozent belasten. Auf der Ausgabenseite will die Revision im Wesentlichen den unter 30-jährigen und den über 55-jährigen Arbeitslosen die Taggelder kürzen. Unter 30-jährige Erwerbslose sollen gezwungen werden können, unabhängig von ihren beruflichen Qualifikationen, jegliche Arbeit anzunehmen.Schliesslich sollen wirtschaftlich schwache Regionen, die von einer überdurchschnittlich hohen Arbeitslosigkeit betroffen sind, die Zahl der Taggelder nicht mehr von 400 auf 520 anheben können.

Gewerkschaften und linke Parteien haben gegen die Revision des Arbeitslosengesetzes das Referendum ergriffen und dieses am 6. Juli mit 140’000 Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht. Deshalb hat das Stimmvolk am 26. September an der Urne das letzte Wort.

Die bürgerlichen Parteien und die Arbeitgeberverbände bezeichnen die Revision als „ausgewogen und notwendig“. Damit könne das bestehende Defizit der Arbeitslosenversicherung auf „sozialverträgliche Art und Weise“ behoben werden. Bei einem Nein wären die Lohnabzüge künftig doppelt so hoch, argumentieren die Befürworter.

Bei der Abstimmung über die Revision der Arbeitslosenversicherung handelt es sich um eine Referendums-Abstimmung. Für ein Ja genügt deshalb das einfache Volksmehr. Das Ständemehr ist nicht nötig.

aus swissinfo.org

Dass die Arbeitslosenversicherung saniert werden muss, sehe ich ja noch ein. Ich kann absolut nicht nachvollziehen, dass man gerade denen, die ohnehin kaum Geld haben (als Arbeitsloser wird man nun wirklich nicht reich) jetzt auch noch Mittel streichen will. Gerade die Jungen Menschen, die noch kein eigenes Vermögen haben, bei Versicherungen aufgrund „Junglenkertums“ und Ähnlichem deutlich mehr bezahlen müssen und keinerlei Lohnsteigerung aufgrund längerer Anstellung einstreichen können sollen jetzt ihre ohnehin geringen Arbeitslosentaggelder verlieren? Akademiker auf dem Bau? Und wer bezahlt dann die explodierenden Kosten der SUVA weil ungelernte auf dem Bau rumklettern?

Ich finde das gar nicht ausgewogen, mit Verlaub. Auch die Personen ab 55, die sich mit Sicherheit schwer tun, überhaupt aus der Arbeitslosigkeit herauszukommen will man jetzt quasi postwendend zu Sozialhilfegelderbezügern machen. Für mich ist das eine Mogelpackung. Auch wenn die Arbeitslosenkasse saniert sein sollte, wird das gleiche Defizit einfach bloss auf die Sozialhilfe verlagert. Und dann dürfen wir die sanieren. Wahrscheinlich dürfen dann die Jungen keine Sozialhilfe mehr beziehen damit die Bilanz stimmt wenn wir das Szenario zu Ende denken?

Diese Leute müssen doch auch von etwas leben, und es ist mit Sicherheit nicht ihre Schuld wenn die Schweizer Wirtschaft ihnen keine Plattform bietet. Gerade die UBS, die „too big to fail“ war für die Schweizer Wirtschaft, will nun in der Schweiz Stellen streichen um das Geld, dass sie von den Bürgern für ihre Rettung erhalten hat, in „billige Inder“ investieren. Nicht anders verhält sich die Lonza, die ebenfalls zur „Stärkung des Standorts Schweiz“ den Löwenansteil der Stellen in der Schweiz streicht. Hier zeigt sich ein strukturelles Problem, dass man nicht auf dem Rücken der Opfer ausbaden kann. Die Anreize müssen nicht für die Opfer sondern für die Täter formuliert werden.

Die Schweiz hat genug vermögende BürgerInnen, die mit einem Bruchteil ihres Vermögens dieses Defizit ausgleichen könnten, aber viel zu geizig und selbstherrlich sind statt dem Land, das nicht selten vielen von ihnen den Reichtum erst ermöglicht hat, etwas zurückzugeben. Alleine 2.6 Millionen gehen jährlich für Altbundesräte dran. Es wäre ja ungemein „unbürgerlich“ wenn man den Angestellten, auf deren Kosten man überhaupt erst so enorme Vermögen generieren konnte, mal etwas zurückgeben würde. Aber hier appeliere ich natürlich an eine Menschlichkeit, die gänzlich von der Angst „bürgerlich“ zu werden verdrängt wird…

Man stelle sich vor: Bis zu einem Einkommen von 126’000 Franken bezahlen Arbeitnehmer und Arbeitgeber heute gemeinsam 2 Prozent. Auf Lohnanteilen, die darüber liegen, fallen keine ALV-Abzüge an. Ja wo ist denn da die Logik???

Aber was soll’s, lieber bezahle ich dann halt gehörig steigende ALV-Abzüge bevor sich die Schulden auf etliche andere Kassen ausweiten und eine Kettenreaktion auslösen, nicht nur was die Bilanzen sondern auch die Moral angeht.

0 Gedanken zu “Sanierung der Arbeitslosenversicherung: von Scheinlösungen und Geizkrägen

  1. Dein Artikel ist gut. Jedoch mit dem Abschnitt über die „billigen Inder“ (was für ein komischer Ausdruck) bin ich nicht einverstanden, zumal du das Pferd damit ja von der falschen Seite aufzäumst 😉
    Statt die UBS und die Lonza anzugreifen müsstest du wenn schon den Aktionären auf die Finger klopfen. Die sind es ja, die immer höhere Renditen fordern…
    Und wenn ich eine grosse Firma wäre, wozu sollte ich z. B. meine IT-Abteilung hier in der Schweiz haben, wenn ich das ganze in einem anderen Land womöglich noch günstiger erhalte? Damit schadet man einerseits dem hiesigen Standort, ermöglicht aber auf der anderen Seiten in ’nem anderen Land vielleicht die Erhöhung der Lebensqualität. Okay, muss nicht sein, kann so sein 😉
    Natürlich ist das ganze ziemlich frustrierend. Aber das ist nun mal unsere kapitalistische Gesellschaft, die sich lieber an Geld als an anderem misst. Leider…

  2. Sicherlich kann man das Problem sogar soweit zurückverfolgen, dass ständiges Wachstum und ein ständig steigender Reingewinn gefordert wird, und das obwohl die Ressourcen sichtlich endlich sind 😉
    Bei der UBS ist es tatsächlich so, dass man statt 1 Schweizer gleich 10 indische Callcenteragenten fürs gleiche Geld bekommt (der Begriff „billige Inder“ wollte ich keinesfalls rassendiskriminierend einsetzen, sondern ich zitiere die Person aus dem Artikel, deren Stelle durch diese Veränderung bedroht wird). Ob dieses globale Lohndumping – auch in Indien selbst – wirklich die Lebensqualität positiv beeinflusst, wage ich zumindest – langfristig betrachtet – zu bezweifeln…

  3. Da bin ich nicht gleicher Meinung: Schau dir mal China an. Dort gehen die Arbeiter nun auf die Barrikaden und fordern höhere Löhne. Das können sie ja auch nur deshalb tun, weil sie eine gewisse Masse und damit auch ein gewisses Gewicht haben. Der iPhone-Hersteller Foxconn zum Beispiel bezahlt ja nun auch höhere Löhne. Diese sind zwar nicht auf unserem Niveau, doch müssen sie das auch sein? Ein IT-Mensch in Zürich verdient ja auch nicht gleich viel wie einer im Wallis.
    Langfristig wird sich ein Nutzen schon zeigen. Du kannst es auch so sehen: Wenn in solchen Ländern die Löhne steigen, werden sich diese Menschen bald mehr leisten können.
    (Ob es jetzt fürs Seelenheil gut ist, viel Geld zu verdienen, ist ja eine andere Frage 🙂 )

  4. Sicherlich kann es dazu beitragen, dass man Wohlstand in diesen Ländern dadurch steigert, es kann aber auch sein, dass die Firma sich wieder aus diesem Land verabschiedet sobald die Lohnforderungen ihre Bedingungen übersteigen, auch wenn sie gerechtfertigt sind, und dann in ein anderes Land abwandert, wo die Leute noch keine so hohen Lohnansprüche haben, denn den Firmen geht es ja nicht darum, irgendwo Wohlstand zu schaffen, sondern lediglich darum, Geld einzusparen und den Reingewinn jährlich anzuheben. Für mich ist das Lohndumping auf globalem Niveau.

    Letzten Endes stehlen sich die Firmen damit aus der Verantwortung, die sie bei der Unterzeichnung eines Arbeitsvertrages gegenüber der einzelnen Person eingehen, welche für eine Stelle – bei sogenannten „renomierten“ Firmen wie der UBS – mit der Hoffnung auf eine sicheres Arbeitsverhältnis vielleicht andere, im Nachhinein betrachtet sicherere Alternativen, in den Wind geschlagen haben. Die Grenze zwischen Zeitarbeit und Festanstellung wird damit zunehmend unterwandert.

    Sobald China erstmal die gleichen Umweltschutzbedingungen wie Europa eingeführt hat, werden sie das auch zu spüren bekommen, und eine Masse von Arbeitslosen hat genau gar keine Stimme. Was dann zurückbleibt ist eine Schar von Leuten die für solche Firmen lediglich als Zwischenlösung für eine noch billigere Variante ausgedient hat. Und ausbaden müssen es – nicht eben zufällig – die Bürger, und nicht die Firmen dieser Länder.

  5. ich muss dir leider wieder widersprechen 🙂
    eine masse arbeitslose ist ein gewaltiges potential und eine ziemlich laute stimme. nicht hier in unserer „welt“. aber u. a. in china, das ja immer noch ein „kommunistisches arbeiterparadies“ sein will… ein wütender mob kann sehr viel schaden anrichten 🙂
    es wird immer jemanden geben, der billiger / schneller / effektiver produzieren kann. und wenns dann mal keine menschen mehr sind, sinds halt maschinen.
    schlimme entwicklung…

  6. na ich hoffe doch schwer dass wenigstens in China die Arbeitslosen sich noch wehren und ich gönne es ihnen, wenn sie damit noch etwas erreichen können! wenn es schon in „unserer Welt“ – wie du so schön sagst – als trauriges Symptom still hingenommen wird…
    Aber die Firmen kommen dabei einfach immer ungeschoren davon…

    „humans: the only species trying to make itself obsolete“

  7. was waren nochmals die argumente für eine angeblich vorhersehbare umwälzung auf die kantone (sozialhilfe)?

  8. hm, ich glaube es war die Tatsache dass man ohne Geld nicht überleben kann; achja, ausser man wird kriminell und lässt sich nicht erwischen.

  9. hallo sarkasmus. ich meinte den automatismus dahinter. wer a-los wird automatisch zum/zur sozialhilfe empfänger/in. da werden facts der arbeitsintegration verleugnet.

  10. Die Realität zeigt nicht selten wie Bemühungen zur Integration (auf unterschiedlichsten Gebieten, nicht nur in Sachen Arbeit) nur bedingt umsetzbar sind; weniger weil es nicht anstrebenswert ist, sondern weil der Mensch kein Zahnrad ist, und auch weil die Bedingungen für Integration zu systematisch und zu wenig realitätsnah aufgestellt werden.

  11. da kann ich dir beipflichen. nur entkräftet ein „bedingt umsetzbar“ förderlicher oder hinderlicher strategien das argument der ursprünglichen diskussion. sprich: es ist nicht abzuschätzen, wieviele alv-bezügerInnen aufgrund der revision tatsächlich sozialhilfe beziehend enden. genau deswegen handelt es sich dabei um ein scheinargument und unterstellt einen falschen kausalzusammenhang.

  12. „Bedingt umsetzbar“ ist für mich nicht entkräftend, sondern durch und durch bestätigend, denn wenn Arbeitsintegration vorbehaltlos umsetzbar wäre, würde man eine Revision doch gar nicht anstreben müssen.
    Es ist meiner Ansicht nach blauäugig zu glauben dass die fortschreitende Automation und Gewinnstreben einzelner Weniger überhaupt sinnvolle Integration ermöglichen.

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