Informiert konsumieren

Entgegen allen Versprechungen ist konsumieren unfassbar schwierig geworden: technologische Innovationen und wissenschaftlicher Fortschritt bieten uns nun die Wahl zwischen Produkten, auf die wir durch Werbung konditiniert werden. Und wenn es dem Umsatz dienlich ist, wird uns die Qual der Wahl dann und wann schon abgenommen! Industrielle Fertigungsprozesse werden laufend weiterentwickelt, nicht selten um die Produktionskosten durch Personalabbau zu senken. Ökologische Nachhaltigkeit spielt höchstens in Imagefragen eine Rolle, aber selten bis nie im Geschäftsalltag: Viele Produkte werden mit Absicht minderwertig produziert, einige werden sogar so konstruiert, dass sie nach einer gewissen Dauer unbrauchbar werden. Der Raubbau an der Natur und letztlich auch die katastrophalen Bedingungen in der sogenannten Fleischproduktion sind für die Konsumenten längst keine Schauergeschichten, sondern bittere Realität. Die Globalisierung des Marktes lastet auf den Schultern derer, die für den geringsten Lohn arbeiten. Ein Sickereffekt von Reichtum in die Dritte Welt bleibt vollkommen aus, damit der Konsument das Erfolgserlebnis eines Schnäppchens erhält und der Aktionär seine Dividende erhält. Trotz aller Entwicklung herrscht in gewisser Weise Stillstand.

Im Wissen um all diese Missstände konsumieren wir. Wir kleiden uns ein, wir essen, wir trinken, wir rauchen, kaufen uns Erlebnisse. Es erfordert ein erhebliches Mass an Schizophrenie um als Menschenfreund konsumieren zu können ohne am eigenen schlechten Gewissen krank zu werden.

Wir können bei den erstaunlichsten Produkten nicht mehr sicher sein, ob ein Tier für dessen Herstellung „verwendet“ wurde. Rezepturen von etablierten Produkten werden ohne Ankündigung für Allergiker verändert. Die Produktions- und Transportkette eines Produktes ist nicht nachvollziehbar, und damit auch nicht der ökologische Fussabdruck des Produktes. Die Haltungs- und Transportbedingungen in der Fleischproduktion können vom Konsumenten genau so wenig überprüft werden. Man mag der vegetarisch-veganen Bewegung militantes Verhalten vorwerfen, doch im Kern trifft die Diskussion den Nerv der Zeit. Der Konsument kann auch nicht überprüfen, ob der Lohn aller Beteiligten angemessen ist.

Wir müssen nach wie vor akzeptieren, dass unsere Kaufhandlung keinem politischen Statement gleichkommt. Es fehlt den Konsumenten schlicht an den Informationen über ein Produkt, um ein politisches Statement abgeben zu können. Viele dieser Informationen sind bereits heute in Form von Daten vorhanden, welche von Produzent und Verteiler erhoben werden. Sie sind lediglich nicht aufbereitet und nicht abrufbar – obwohl das maschinell machbar wäre: Stichwort QR Code oder RFID, sogar Live-Streams aus der Fleischproduktion sind machbar. Derzeit ist es in keinem Onlineshop eines Grossverteilers möglich, das Sortiment nach den eigenen Ansprüchen und Unverträglichkeiten zu filtern, was doch angesichts der technischen Möglichkeiten einer Schikane gleichkommt! Doch solche Massnahmen wären notwendig, damit Konsumenten wieder Selbstbestimmungsrecht zurück bekommen, also das Recht mit ihrem Einkauf ein politisches Statement abzugeben.

Für die regelmässigen Kontrolle der Authentizität der erfassten Daten könnte auch Citizen Science eine Lösung sein: es gibt überall auf der Welt bereits reichlich gut informierte Bürger, die bereits heute alle Möglichkeiten wahrnehmen, um vor Produkten zu warnen oder welche zu empfehlen und durchaus willens wären, um stichprobenartig zu überprüfen, ob die Daten über ein ihnen zugeordnetes Produkt authentisch sind.

Rein technologisch stehen den Konsumenten bereits heute alle Hilfsmittel zur Verfügung die sie für mehr Kontrolle benötigen würden. Es fehlt jedoch an den Mitteln und einer Institution, um all die technologischen Möglichkeiten zu Gunsten einer faireren Welt umzusetzen. Aber ich lasse diesen Artikel als frommen Wunsch im Netz stehen. Bis dieser Wunsch Realität wird, müssen wir Konsumenten uns mit Apps begnügen, deren Leistungsumfang leider sehr begrenzt ist. Wir können auch „on demand“ Daten zum ökologischen Fussabdruckes eines Produktes einholen. Und als letzte Instanz bleibt uns die Möglichkeit, eine Beschwerde einzureichen. Die Stiftung für Konsumentenschutz arbeit derzeit intensiv daran, das Beschwerdewesen für die Konsumenten zu vereinfachen.

Ein Gedanke zu “Informiert konsumieren

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