Schönes neues 2020

Das neue Jahrtausend wird 20 Jahre alt. Doch von Feierlaune keine Spur. Die letzten beiden Jahrzehnte sind gezeichnet von Unfähigkeit, Gier und Gewalt. Was vor zwanzig Jahren noch einer hoffnungsfrohen Verheissung entsprach, offenbarte statt dessen das kollektive Scheitern: Skandale, Krisen und Kriege haben die Welt gezeichnet. Ist das alles was bleibt?

Bei aller Katerstimmung: in jedem Konflikt liegt die Keimzelle für eine bessere Welt.

Unser Universum wächst exponentiell, also sollten wir wohl auch über die Zeit und den Raum verfügen um Konflikte nicht wie Unkraut zu behandeln sondern im Sinne einer allumfassenden Diversität mit Höflichkeit und Respekt zu hegen statt sie mit Despotismus, Fatalismus und Demagogie kaputt treten zu wollen: viele Fronten sind so scharfkantig geworden wie nie zuvor, weil „politische Korrektheit“ – im Grunde Höflichkeit – als lästig empfunden wird. Und das haben wir jetzt davon: Shit Storms und Hate Speech.

Die Tugend der Höflichkeit, also der Wert der Art und Weise, wie etwas getan wird, ist dem Streben nach Effizienz zum Opfer gefallen:  Wo Verkäuferinnen an der Kasse früher noch ein höfliches Wort wechseln konnten, sind sie heute angehalten sich an ein Wording zu halten und auf Improvisationen zu verzichten. Während Pflegepersonal in den Krankenhäusern früher noch Zeit für persönliche Gespräche fand, tickt heute ein Abrechnungsmodell im Hintergrund, welches keine Menschlichkeit zulässt.

Es gab auch einmal in grauer Vorzeit eine Zeit, als Postangestellte ihre Touren nicht minutiös genau abarbeiten mussten, Sachbearbeiter nicht am Volumen ihrer Fälle sondern am Erfolg gemessen wurden, Vorgesetzte nicht wegen ihrer Fähigkeit, harte Entscheidungen zu fällen sondern aufgrund ihres Talentes dafür, eine Gruppe zu motivieren, ausgewählt wurden. Aber wohlgemerkt:

Eine „gute alte Zeit“ wird es auch nie gegeben haben, egal wie sehr man sich das einreden möchte: es ist halt einfach noch schlechter geworden als es ohnehin bereits war.

Dass Höflichkeit, Rücksichtnahme, zuvorkommendem Handeln und Respekt (nicht nur in den „grossen Fragen unserer Zeit“ sondern vor allem in den kleinen Dingen des Alltags*) zu wenig Zeit und Raum zur Verfügung steht, ist ein grosser Verlust: Kein Institut sieht sich verantwortlich, um die Kunst der Höflichkeit und Rücksichtnahme im Alltag zu vermitteln. Etikette ist Nachahmung, ist das Vorführen von gutem Benehmen, von Konventionen, die gelernt und beherrscht werden. Höflichkeit ist etwas ganz anderes, etwas viel Lebendigeres. Es gibt keine Höflichkeit ohne Toleranz, Mitleid, Rücksicht und Großzügigkeit. Deshalb ist diese zivilisierte Form des Umgangs miteinander letztlich eine Herzensangelegenheit: „Sie ist“, so Goethe in den „Maximen und Reflexionen“, „der Liebe verwandt“. Alle schieben die Verantwortung ab und wundern sich, warum die Verhaltensweisen verrohen und weshalb die politischen Debatten immer polemischer werden. Ich möchte hoffen, dass diese etwas altmodisch anmutende Tugend ein Revival erlebt und damit auch unserer Gesellschaft wieder neues Leben einhaucht.

Wer noch Inspiration zum Thema sucht, findet es hier: https://www.swr.de/swr2/programm/hoeflichkeit-die-kunst-respekt-zu-zeigen,broadcastcontrib-swr-11694.html

Höfliche Gesten öffnen die Szene für eine immer noch mögliche Utopie der Menschlichkeit.

Trotz aller Misstöne bin ich den letzten beiden Jahrzehnten gegenüber versöhnlich gestimmt: Ich hoffe weiterhin auf eine Auflösung des grossen Rätsels, der Frage zur Antwort 42 und auf alles andere was notwendig sein wird um jedes Herz auf der Welt glücklich machen zu können.


*kleine Höflichkeiten im Alltag:

  • ehrlich um etwas bitten
  • sich herzlich bedanken
  • sich entschuldigen wenn man erkennt, dass man einen Fehler gemacht hat und nicht aus falschem Stolz schweigen
  • die Menschen in der Umgebung nach ihrem Befinden fragen
  • aufmerksam zuhören um Bedürfnisse zu erkennen, auf die man eingehen könnte
  • der nachfolgenden Person die Türen aufhalten/Lichtschranke am Lift blockieren
  • Vortritt gewähren
  • bei der Begrüßung aufstehen
  • jemanden in der Warteschlange vorlassen
  • mal ein größeres Trinkgeld als üblich geben
  • Verständnis zeigen statt zu urteilen
  • In einem Gespräch das Smartphone nur in die Hand nehmen falls ein Anruf eintrifft
  • Komplimente nicht nur denken sondern aussprechen
  • Zu Beginn des Telefonates fragen, ob die Situation gerade ein Gespräch zulässt
  • Anrufe in der Öffentlichkeit rücksichtsvoll vertagen
  • Auf öffentlichen Sitzgelegenheiten nicht breitbeinig sitzen
  • Auf öffentlichen Sitzgelegenheiten Tasche auf den Schoss nehmen statt sie neben sich zu legen
  • Wo Aschenbecher stehen, darf geraucht werden. So wie Raucher Rücksicht auf Nichtraucher nehmen, sollten auch Nichtraucher bis zu einem gewissen Grad Rücksicht auf Raucher nehmen.
  • Nach einem Nieser Gesundheit wünschen
  • Pünktlichkeit ist ein Zeichen der Wertschätzung der Zeit der anderen Person
  • Die Hand vor den Mund beim Gähnen
  • Gemeinsam genutzte Räume ordentlich halten und aufwerten indem man auch fremden Abfall ordentlich entsorgt, fremdes Geschirr spült o.ä.
  • Die Menschen, die man besucht, fragen ob man ihnen noch etwas mitbringen kann
  • Jemandem bewusst Hilfe anbieten: beim Tragen, Packen, Laden etc.
  • den Menschen in der Umgebung eine Freude machen, mit Gesten und Geschenken
  • sich pflegen (Deo, Zahnhygiene) um anderen Menschen nicht in eine unangenehme Situation zu bringen

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