In einer Demokratie gibt es zwischen Staat und Wirtschaft zwangsläufig Konflikte denn während das Wirtschaftssystem darauf ausgerichtet ist, mittels der Produktion und des Verkaufes von Waren und Dienstleistungen den Profit des Einzelnen und insbesondere der Unternehmenseigner zu maximieren, verpflichtet sich die Demokratie das Wohl der Gesamtbevölkerung zu mehren und die Wünsche, aber auch die langfristigen Interessen der Wähler und künftiger Generationen zu berücksichtigen. Privatunternehmen handeln also profitorientiert und häufig nur dann ethisch korrekt, wenn sie durch Gesetze dazu gezwungen werden oder es ihnen aus Marketinggründen opportun erscheint.
Was den Unternehmen nach Ansicht der Unternehmer und Manager betriebswirtschaftlich nützt – möglichst niedrige Löhne, möglichst lange Arbeitszeiten, möglichst verdichtete Arbeit, möglichst wenig Urlaub, möglichst kein Kündigungsschutz, möglichst umfassende Verfügbarkeit aller Beschäftigten, generell möglichst geringe Kosten –, nützt nicht automatisch auch der Volkswirtschaft und der Allgemeinheit. Regelungen zum Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutz, zur Absicherung im Alter und bei Krankheit durch eine gesetzliche Renten- und Krankenversicherung, zur Ressourcenschonung, zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie, zur Gefahrenabwehr bei risikoreichen Techniken, zur gleichmässigeren Verteilung der Unternehmensgewinne etc. mussten bislang immer gegen den Widerstand der betroffenen Unternehmen und Wirtschaftsverbände durchgesetzt werden. Denn alle diese Massnahmen schmälern zumindest kurzfristig den Profit der Unternehmenseigner, bewahren jedoch die Bevölkerung sowie kommende Generationen vor Schaden. Aus Sicht der grossen Mehrheit der Bevölkerung ist der Kapitalismus ein notwendiges Übel: Er dient – oder diente jedenfalls in der Vergangenheit – der allgemeinen Wohlstandsmehrung, wobei die überaus ungleiche Verteilung des Wohlstands in Kauf genommen wurde und gnadenlose Ausbeutung der Arbeitnehmer, massive Umweltverschmutzung sowie Täuschung der Verbraucher durch Staat, Gewerkschaften und Verbraucherverbände verringert werden konnten.
Das Scheitern der Planwirtschaft in den ehemals kommunistischen Ländern des Ostblocks hat gezeigt, dass eine zentrale Planung aller wirtschaftlichen Aktivitäten durch den Staat nicht sinnvoll ist. Reicht es also aus, wenn der Staat darauf achtet, dass der Wettbewerb funktioniert, sich also keine Monopole, Oligopole und Kartelle bilden, und dass die Unternehmen gewisse Standards bezüglich Umweltschutz, Mitarbeiterschutz, Verbraucherschutz und Ressourcenschonung einhalten? Heute sage ich: Nein. Aus meiner Sicht sind gewisse Monopole durch unsere Grundbedürfnisse vorprogrammiert. Damit die Privatwirtschaft unsere Grundbedürfnisse nicht gegen uns ausspielt, sollten sie meiner Ansicht nach an regionale Bedürfnisgemeinschaften überstellt werden; nicht weil sie effizienter arbeiten, sondern weil sie damit ihre Bedürfnisse abdecken sollen. Das Ammenmärchen, private Unternehmen würden unter allen Umständen zeit- und kosteneffizienter Vielfalt und Qualität garantieren als Staatsbetriebe, kann getrost aus den Regelbüchern gestrichen werden:
Der Gas- und Wassermarkt ist beispielsweise ressourcenbedingt durch regionale Monopole oder Oligopole gekennzeichnet. Aber: die bloße Umwandlung eines regionalen Monopols in ein privates Monopol geht immer zu Lasten der Verbraucher: Da Privatunternehmen im Gegensatz zur Bedürfnisgemeinschaft maximale Gewinne machen wollen, werden private Monopolbetriebe die Verbraucher sobald als möglich hemmungslos schröpfen. Die Verträge, die vor einer Privatisierung in der Regel ausgehandelt,werden um eben das zu verhindern, sind meistens sehr leicht auszuhebeln – z. B. durch Weiterkauf des Betriebes an ein anderes, häufig noch größeres Unternehmen. Zusammenschlüsse z. B. zwecks gemeinsamer Erbringung und Verteilung von Energie, zwecks regionalgemeinschaftlicher Sicherung der Wasserversorgung wäre sinnvoller gewesen.
Die SBB und Swisscom sind faktisch trotz ihrer teilweisen Privatisierung nach wie vor Monopolunternehmen und werden aufgrund marginaler Konkurrenz auch in absehbarer Zukunft im Wesentlichen Monopolunternehmen bleiben.Um profitabel zu sein, werden ihre Preise erhöht und der Service abgebaut. Nicht das Gemeinwohl, also die bürgernahe, kostengünstige und flächendeckende, sichere, klimapolitisch und volkswirtschaftlich vernünftige Versorgung der Bevölkerung mit öffentlichen Beförderungs- und Kommunikationsnetzen, sind Maßstab der Entscheidungen, sondern allein der betriebswirtschaftliche Nutzen. Besonders tragisch: die Infrastruktur beider Unternehmen wurden mit öffentlichen Geldern finanziert; die Kaderlöhne und Reingewinne die heute mit Hilfe dieser Infrastruktur generiert werden, fliessen aber nicht wieder zurück zum Staat. Dass immer noch eine Trennung von einer ersten und zweiten Klasse zelebriert wird, ist für ein unwürdiges Spektakel. Wären regionale, aus Bedürfnissen heraus entstandene Kleinbetriebe möglicherweise sinnvoller gewesen?
Heute werden die Hochschulen bei Kooperationen und Drittmittelprojekten mit Privatunternehmen mit anerkennenden Worten und ein paar Almosen abgespeist, während das Unternehmen mit der an der Hochschule entwickelten, aber vom Unternehmen patentierten Technologie kräftig absahnt – bei vergleichsweise geringem finanziellem Einsatz, unter Ausnutzung der fachlichen Kapazitäten und der Infrastruktur der Hochschule und ohne eigene – teure – Mitarbeiter beschäftigen zu müssen. Weil Hochschulen schlichtweg keinen Profit abwerfen und deshalb für Investoren uninteressant sind werden diese wohl auch in weiter Zukunft vom Staat getragen. Und das ist auch gut so, denn die Privatwirtschaft würde Fachbereiche / Fakultäten / Fächer / Lehrstühle, die einen unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzen versprechen, fördern und alle Bereiche, die sich vorrangig der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung widmen, würden bis auf ein Alibiminimum abgemagert. Die Universitäten würden sich von Stätten der Bildung zu reinen Ausbildungsstätten der Betriebe entwickeln. Das Resultat dieser Entwicklung können wir an der Pharma-Industrie betrachten.
Da zum einen die Einnahmen der Sozialkassen in den letzten Jahren nicht mehr so kräftig flossen, zum anderen die Kosten für Renten, Arbeitslosengeld sowie das Gesundheitswesen beharrlich – und nicht ohne Mitschuld der Unternehmen – steigen und der Staat die Unternehmen möglichst entlasten möchte, hat der Staat die entsprechenden Leistungen an in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter gekürzt. Die Privatwirtschaft bedient sich seit einigen Jahren fürstlich am Sozialstaat: Unterbezahlung gehört mittlerweile zum guten Ton, die Gruppe der Working Poor wächst kontiniuierlich an; nicht zuletzt weil die Sozialhilfe in die Presche springt wenn der Lohn zur Deckung der Lebenshaltungskosten nicht reicht. In Anbetracht dieser Tatsache mutet die Erwirtschaftung von Reingewinnen und die Auszahlung enormer Kaderlöhne in Schweizer Unternehmen paradox und bizarr an: der Kapitalismus lässt sich seine Dekadenz – ganz nach Regelbuch – vom Sozialstaat finanzieren. Es gibt auch fehlgeleitete Libertaristen, die dieses Konzept grosszügig anwenden indem sie behaupten, dass durch die Schaffung einer Rentenzusicherung (beispielsweise bei Invalidität) zwangsläufig eine Nachfrage geschaffen würde, welche ohne diese Zusicherung nicht existieren würde; im Umkehrschluss bedeutet dies, dass invalide Menschen arbeitsfähig bleiben würden wenn man ihnen keine Renten zusichern würde. Ich wage dies zu bezweifeln. Nur weil die Privatwirtschaft den Sozialstaat schröpft, bedeutet das für mich noch lange nicht dass der Sozialstaat das Problem darstellt.
Ich bin von der Intelligenz des freien Marktes so wenig überzeugt wie von der jungfräulichen Geburt. Die sogenannten selbstregulatorischen Kräfte des Marktes taugen für mich nur als Gerücht. Wäre die Wirtschaft ein rein biologisches Phänomen, würde ich diese These vielleicht sogar glauben, aber in Anbetracht der Tatsache dass es ein theoretisch geschaffenes Gedankenkonstrukt von opportun handelnden Menschen darstellt,halte ich den Glauben an eine Selbstregulation des Marktes für vermessen. Mittlerweile vertrete ich sogar die Ansicht, dass man unmöglich markt- und gesellschaftsliberal gleichzeitig sein kann: Meines Erachtens muss möglichst jeder Mensch in der Lage sein oder befähigt werden, für sich selbst zu sorgen, denn andernfalls entstehen Abhängigkeiten, die die Freiheit mindern und Markthörigkeit schaffen. Nennt mich vermessen wenn ich sage „Nichts über dem Individuum!“ aber solange wir immer zuerst die Interessen der Wirtschaft wahren, ist nicht damit zu rechnen dass man das Gemeinwohl aller dem Profit einiger weniger vorziehen wird; denn die Wirtschaft als reine Anwendung des Rechts des Stärkeren kann in in einem Milieu ohne Chancengleichheit kaum zur Schaffung von gleichmässiger Verteilung dienen, denn dazu wurde sie im Grunde nicht erdacht.