Mehmet Toprak 13.06.2009
Das Internet hat seine erste Partei. Die Piratenpartei fordert die etablierte Politik heraus. Vorschläge wie Beschränkung des Urheberrechts, Freigabe aller Killerspiele oder das Verbot von Kopierschutz wirken weltfremd. Wiwo.de-Autor Mehmet Toprak hasst solche Ideen. Doch dann ist er ins Grübeln gekommen.
„Schreiben Sie doch mal was über die Piratenpartei“, meinte Angela Hennersdorf, meine Chefin bei der wiwo.de-Redaktion. Das sind diese Digital-Chaoten, die für freies Kopieren und gegen jede Art von Webzensur sind. Sitzen jetzt sogar mit einem Abgeordneten im EU-Parlament. Die mag ich nicht. Also gut, Chefin. Da ich eh gerade schlechte Laune habe, schreibe ich einfach einen Verriss.
Wer sind die überhaupt? Die in 2006 in Schweden gegründete „Piratpartiet“ hat dort 7,4 Prozent der Stimmen geholt. Das reicht für den besagten Sitz im Europaparlament. Auch Deutschland haben die Piraten inzwischen geentert und bei der EU-Wahl 229 117 Stimmen bekommen (0,9 Prozent). Um auch für die Bundestagswahl zugelassen zu werden, braucht die Partei noch Unterstützung und sammelt dafür gerade Unterschriften auf ihrer Webseite.
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Was die Partei genau will?
Der Name sagt schon alles. Sie sind gegen alles, was nach staatlichem Eingriff schmeckt und für alles, was nach Freiheit riecht. Sie wollen die Vorratsdatenspeicherung abschaffen und die Privatsphäre stärken.
Das Briefgeheimnis soll zu einem „generellen Kommunikationsgeheimnis“ erweitert werden. Außerdem wollen sie die Patente abschaffen und den gewerblichen Urheberrechtsschutz auf fünf Jahre beschränken. Jeder sollte die Freiheit haben, aus einem urheberrechtlich geschützten Werk „abgeleitete Werke“ herzustellen. Gemeint sind damit so was wie Parodien, längere Zitate oder die kreative Weiterverarbeitung. Und dann wollen die Piraten zum Kopieren von CDs, Filmen oder Literatur ermuntern. Kopierschutztechniken sollen dagegen verboten werden. Eine sehr überschaubare und eindeutige Agenda.
Die Ziele dieser Partei sind also ziemlich genau das Gegenteil von allem, woran gesetzestreue Internet-Bürger wie ich glauben.
Andererseits schadet es nichts, mal ein bisschen nachzudenken. Was könnten Gründe sein, diese Partei zu wählen?
1. Grund: Lobby der Internetnutzer
Nun, ein Vorteil wäre wohl, dass vor allem jugendliche PC- und Internetnutzer so etwas wie eine politische Vertretung bekämen. Denn schließlich ist es gerade diese Gruppe, die die Entwicklung von PC und Internet enorm geprägt hat. Da ist es nur gerecht, wenn sich das auch im Parlament widerspiegelt.
2. Grund: IT-Kompetenz in der Politik
Ein zweiter Grund wäre, dass die Politiker gezwungen wären, alle Themen rund um Internet und Computer mit mehr Fachkompetenz anzugehen.
Das allermeiste, was Spitzenpolitiker bisher zu Technikthemen zu sagen hatten, wirkt unbeholfen und linkisch, um das geringste zu sagen. Das liegt wohl einfach daran, dass die Generation, die jetzt am Ruder ist, nicht mit dem PC aufgewachsen ist.
Sie können vielleicht eine SMS schreiben oder mit dem Blackberry posieren, aber das Verständnis von Technik bleibt trotzdem oberflächlich. Abgeordnete aus der Technik-Fraktion könnten da ein anderes Niveau in die Diskussion bringen.
Deswegen würde ich die Piratenpartei aber noch lange nicht wählen.
3. Grund: Die internationale WWW-Partei
Zugegeben, es gibt noch ein drittes Argument. Die Organisation ist weltweit schon in vielen Ländern als Partei registriert oder in der Gründungsphase. Peru, Frankreich, Argentinien, Australien, Brasilien, USA, Südafrika und Rumänien, um nur einige Beispiele zu nennen.
Daraus ergibt sich langfristig die Chance, Gesetze und Regelungen so zu gestalten, dass sie nicht nur ein einzelnes Land, sondern europaweit oder noch besser weltweit betreffen. Genau darum heißt es ja auch: WWW, World Wide Web.
Immer noch nicht genug, diese Partei zu wählen.
4. Grund: Das utopische Potenzial
Wenn man sich die Forderungen der Piraten auf deren Internetseite mal durchliest, dann klingt das gar nicht so blöd. Sie verweisen darauf, dass Patente und private Monopole die Gesellschaft schädigen können. Das gilt auch für den Bereich des Softwarepatente. Patente sorgen dafür, dass einzelne Firmen eine ganze Menge Geld verdienen – das sei ihnen gegönnt – haben aber den Nachteil, dass sie insgesamt die technische Entwicklung bremsen, weil nur einige wenige diese Patente anwenden können. Ob man deshalb alle Patente gleich abschaffen muss, ist eine andere Frage, aber kritisch nachdenken sollte man schon.
Das mit dem Urheberrecht ist auch nicht so falsch. Im Internet könnten theoretisch alle Menschen jederzeit auf alle Informationen oder Kulturgüter wie Literatur, Musik, Film oder Bildende Kunst zugreifen. Die Digitalisierung macht es möglich, dass Sie diese dann auch gleich kreativ weiterverarbeiten. Fantastische Möglichkeiten. Das Internet als die Wissens- und Ideenmaschine der Menschheit. Das Urheberrecht in seiner derzeitigen Form wirkt da als Bremse.
Zurecht weist die Piratenpartei auf ihrer Webseite darauf hin, dass unzählige Filme oder auch Musikaufnahmen ungenutzt in Tresoren liegen, weil es sich nicht lohnt, diese auf DVD zu veröffentlichen. Sie aber deshalb freizugeben, auf die Idee kommt keiner.
Könnte ja sein, dass es sich irgendwann mal doch lohnt. Aber bis dahin bleibt dieses Kulturgut verschlossen im Tresor. Eine Reform des Urheberrechts könnte das verhindern. Kultur gehört nicht in die Tresore der Unterhaltungskonzerne, sie gehört auf Plattformen, die für jeden offen sind.
Mit solchen Gedankengängen zielt die Piratenpartei auf das utopische Potenzial des Internets. Das ist in den letzten Jahren doch die Kommerzialisierung leider völlig verloren gegangen. Wenn Produktmanager heute von „Visionen“ sprechen, dann meinen Sie meistens nur noch mehr Pixel oder noch mehr Gigabyte. Bei der kleinkarierten Pixel-Huberei verliert man aber das eigentliche Ziel aus den Augen. Die Technik soll schließlich den gesellschaftlichen Fortschritt unterstützen.
Wenn es nun eine Partei gibt, die für solche Utopien kämpft, dann wäre das fast ein Grund sie zu wählen.
5. Grund: Bürgerrechte im Digitalzeitalter
Auch den radikalen Forderungen nach Schutz der Privatsphäre, die auf den ersten Blick weltfremd wirken, kann man einiges abgewinnen. Niemand bestreitet, dass die Privatsphäre im Digitalzeitalter massiv bedroht ist.
Eine Partei, die mit einem technisch tiefen Verständnis im Parlament für die Bürgerrechte im Internet kämpft, gibt es bisher noch nicht. Das böte also die Chance, die Bürgerrechte im Web auf Basis der neuen technischen Voraussetzungen vollkommen neu zu verhandeln und festzulegen.
Noch ein Pluspunkt für die Piratenpartei.
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6. Grund: Impulse für die Wirtschaft
Die auf den ersten Blick unverschämte Forderung das private Kopieren und Weitergeben von Musik, Filmen oder Büchern komplett freizugeben, könnte paradoxerweise auch der Internet-Wirtschaft einen Impuls geben.
Wenn in Zukunft der Tausch von Waren, Informationen oder Dienstleistungen digital organisiert und teilweise sogar ohne Geld stattfindet, könnte das, so ketzerisch das auch klingen mag, die Regeln von Wirtschaft und Gesellschaft neu definieren. Wie genau das gehen soll? Keine Ahnung. Da müssen sie schon die Piratenpartei fragen. Die sind vielleicht irgendwann mal zuständig dafür.
Grund Nummer 7: Neustart beim Denken
Radikale Manifeste wie das der Piratenpartei sollte man nicht belächeln. Sie haben den Vorzug, alte Denkmuster und verstaubte Traditionen, die wir uns noch im Analogzeitalter angewöhnt haben, in Frage zu stellen.
Wenn es richtig ist, dass die Internet-Ära mit all ihren fantastischen Möglichkeiten die Gesellschaft total verändert – das sagen ja alle – dann ist es auch richtig, die alten Vorstellungen zu Themen wie Urheberrecht, Bürgerrecht oder Privatsphäre zu hinterfragen. Genau das leistet das Manifest der Piratenpartei.
Jetzt bin ich eigentlich schon ziemlich nahe dran, das Piratenschiff zu besteigen.
Grund Nummer 8: Subkultur fließt in Mainstream
Es klingt vielleicht ein bisschen zynisch. Mit der Piratenpartei fließt eine potenziell gefährliche Subkultur in den Mainstream der Politik ein. Mit andern Worten: Lass‘ die Jungs ruhig in die Politik gehen, in der Quasselbude Bundestag können sie eh´ keinen Schaden anrichten.
Das ist die zynische Interpretation. Die bessere Option ist aber die, dass eine Subkultur, die bisher entfremdet von der etablierten Politik vor sich hin dümpelte, sich schrittweise einmischt und neue Ideen mitbringt. Das würde der Politik ziemlich gut tun.
Und das sind die acht Gründe, warum ich beim nächsten Mal die Piratenpartei wählen werde.