Liebe Leser und Leserinnen*
Vom 27. bis zum 31. August fand in der Nähe von Bristol auf dem Weidegebiet der Fernhill Farm das alljährliche ArcTangent Festival statt. Die Veranstalter dieses Events dürfen sich rühmen, einer eingeschworenen Fangemeinde die Besten der Besten aus dem Bereich Post Rock** auf dem Silbertablett zu servieren (Spotify Playlist, Event auf Lastfm, Soundcloud Podcast). Sem.sa und MéLa waren dabei – bei strömenden Regen, klirrender Kälte, im Schlamm versinkend. Und es war eine der schönsten Erfahrungen unseres Lebens.
Sem.sa war es, die auf diese aussergewöhnliche Veranstaltung gestossen ist und das Fieber verbreitet hat. Wir haben mit Akribie und einem aussergewöhnlich hohen Mass an Vernunft alle notwendigenVorbereitungen getroffen, um uns in diesem Jahr zu den geschätzten 3500 Besuchern zählen zu dürfen. Nichtsdestotrotz hatte die Fluggesellschaft KLM es beinahe geschafft, das ganze Vorhaben in letzter Minute zum Scheitern zu bringen: Wenige Stunden vor unserem Abflug nach Bristol informierte die Airline uns über die Annullierung des Fluges, Hotline nicht verfügbar. Da wir aber infolge unserer sorgfältigen Planung frühzeitig am Basler Flughafen waren, erfuhren wir dort bei Schalteröffnung*** – nur wenige Minuten bevor der letzte mögliche Zug abfuhr – dass unser Flug neu ab Zürich starten würde.
In einem Taumel aus Zerknischtheit und Wachtraum verliessen wir Basel um in Zürich einzuchecken***. Die Änderung des Flugplanes von KLM hatte eine Verzögerung von 2 Stunden zur Folge, die wir selbstverständlich bedauern, und für immer bedauern werden, denn sie kostete uns die Kraft um So I Watch You From Afar live zu erleben. Abgesehen davon mussten wir unser Gepäck erneut bezahlen: Saftladen.
So haben wir es versäumt, uns noch mit reichlich mit Nahrungsmitteln aus der Schweiz einzudecken. Die Englische Küche finden wir, gelinde gesagt, widerlich. Wir haben versucht, der englischen Küche über ausländischen Angebote auszuweichen, doch das flaue Gefühl in unseren Mägen zwischen Hunger und Übelkeit fand erst wieder sein Ende, als wir nach unserer Rückkehr am Sonntagnachmittag in Lausanne unsere Reise mit einem kulinarischen Rehabilitationsprogramm krönten.
Aufgrund der überschaubaren Grösse des Festivals, befand sich unser Zelt – welches wir im Voraus über „Boutique Camping“ gemietet hatten und bei unserer Ankunft komplett aufgestellt und ausgestattet beziehen konnten – in einem akustischen Kreuzfeuer: dies ermöglichte uns, so I watch you from afar zumindest „from afar“ wahrzunehmen während wir erschöpft eingeschlafen sind.
Tags darauf sorgte ein klirrend kalter Regen für eine veritable Masse an Schlamm auf dem Gelände. Am Samstag schien die Sonne scheu durch den Wolkenschleier, was wir dankend angenommen haben. Die Einheimischen waren ganz im Gegensatz zum kühlen Klima warmherzig und liebenswert. Wir haben es sehr gut gefunden, dass die Chemie-Toiletten auf dem Areal Spülungen und Desinfektionsmittel hatten. Auch die Fernhill Farm bot ihre Produkte am Festival an und warb für nachhaltige Landwirtschaft. Der medizinische Dienst schien so unterbeschäftigt zu sein, dass die Samariter sich gemäss unseren Beobachtungen schon selbst zu verletzen begannen.
Die kommenden Tage waren dem Line Up unserer favorisierten Acts unterworfen. Mit den charmenten und humorvollen Bats starteten wir in unser Programm.
EF schufen mit ihrem heiter-atmosphärischen Sound eine wunderbare Grundstimmung:
This will destroy you haben das ganze Publikum mit ihrer Hingabe angesteckt:
Maybeshewill haben mit ihrem energiegeladenen Sound die Menge elektrisiert:
Russian Circles brachte das Publikum zum pulsieren:
Blueneck haben am Samstagnachmittag mit ihrer Musik die Sonne förmlich begrüsst:
Waking Aida hatte leider zu wenig Platz auf der Bühne und kämpften mit technischen Problemen. Nichtsdestrototz hat ihre musikalische Virtuosität voll überzeugt und muss in vielerlei Hinsicht gewürdigt werden:
God is an Astronaut war einfach nur ganz grosses Kino, sowohl im übertragenen als auch im wörtlichen Sinn: das Ende des Konzerts wurde mit der Vernichtung der Gitarre zelebriert:
Mono schaffte es schliesslich, das Publikum förmlich in eine eigene Atmosphäre einzuhüllen:
Jedes einzelne Konzert war ein phänomenales Erlebnis. Wir können das ArcTangent Festival nur wärmstens weiterempfehlen!
*da die Autorinnen dieses Berichts weiblichen Geschlechts sind, erlauben wir uns der Gleichberechtigung halber die übliche Anrede zu demanzipieren indem wir unser Gegengeschlecht zuerst ansprechen.
**Kurz und knackig, was Post Rock auszeichnet:
- Verzicht auf die im traditionellen Rock übliche Strophe-Refrain-Struktur
- unterstützender Einsatz von elektronischen Instrumenten sowie Computern, Sample-Technologien und/oder diversen Außenaufnahmen
- zum Teil überlange Titel, oft über 10, bisweilen über 20 Minuten Spieldauer
- längere Strukturen als im Rockbereich üblich, oft unter Einsatz sich über mehrere Minuten entwickelnder Themen
- häufiger Einsatz minutenlanger repetitiver Klangmuster und Strukturen, die an Ambient-Musik anschließen
- Einsatz von akustischen Instrumenten
- Vorliebe für ungewöhnliche Rhythmen und „ungerade“ Taktarten
- minimalistische oder auch fast orchestrale Arrangements
- weitgehender oder völliger Verzicht auf Gesang, teilweiser Verzicht auf Songtexte bei Ersatz durch lautmalerischen Gesang oder starke Verzerrung des Gesangs (bis hin zur Unkenntlichkeit)
- Konzentration auf die Musik als solche, Texte (sofern vorhanden) und Aussagen treten in den Hintergrund
- Brückenschläge zwischen verschiedenen Musikkonzepten, auch z. B. zur Kammermusik (Rachel’s) oder zur elektronischen Musik
- bescheidene Bühnenshows ohne viel Aufwand, Konzentration auf die Musik
sie Populärsten Post Rock Vertreter:
- Aereogramme (Schottland)
- A Silver Mt. Zion (Kanada)
- Explosions in the Sky (USA)
- God Is an Astronaut (Irland)
- Godspeed You! Black Emperor (Kanada)
- Leech (Schweiz)
- Mogwai (Schottland)
- Mono (Japan)
- Pelican (USA)
- Radian (Österreich)
- Sigur Rós (Island)
- Stereolab (Großbritannien/Frankreich)
- Tortoise (USA)
- This Will Destroy You (USA)
***Es war und ist uns bis heute schleierhaft, warum die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an den Desks so derart unsympathisch, gelangweilt und genervt sein konnten wie wir sie erlebt haben: wir vermuten nach reichlicher Beobachtung und eingehender Analyse, dass die Fluggesellschaften ihre – vornehmlich weiblichen – Angestellten vermutlich dazu zwingen, in unbequemen, hochhackigen, unnatürlich geformten und hörschädigend laut klackernden Schuhen zu laufen und diesen Menschen auf diese Weise einen ernsthaften – und offensichtlich! – mentalen Schaden zufügen. Wir werden diesbezüglich eine Rückfrage an KLM starten, weil wir eine solche Sklaventreiberei auf keinen Fall unterstützen werden!