Gesetzloser Lauschangriff
Das Justizdepartement lässt eine neue Anlage zur Live-Überwachung der ganzen elektronischen Kommunikation installieren. Das Gesetz dafür ist erst in der Vernehmlassung.
Im Keller des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) an der Fellerstrasse in Bern stehen meterbreite Schränke bereit für neue Rechner: Server und andere Computer für das Interception System Schweiz (ISS), die neue elektronische Abhöranlage des Bundes. Vor rund einem Monat hat das EJPD die dreissig Millionen Franken teure Anlage bestellt. Bis im nächsten Sommer soll sie von SMS und MMS über E-Mails bis zu Telefongesprächen via Internet alles mitschneiden können.
Polizisten sollen dann nach richterlicher Genehmigung per Mausklick eine Live-Überwachung neuster Technologien starten können.
Allerdings: Obwohl der Bundesrat im Juni 2009 zunächst einen Kredit von 18,2 Millionen gesprochen hat, fehlt der neuen Anlage die gesetzliche Basis. Denn die Revision des Bundesgesetzes über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF) ist noch bis am 18. August in der Vernehmlassung.Das EJPD bestätigt, dass sich das Projekt ISS «zurzeit in der Beschaffungsphase» befinde, über die genauen Kosten gebe es keine Auskunft. Die gesetzliche Basis sei mit dem geltenden BÜPF gegeben. Allerdings wird das ISS im Bericht zur Revision namentlich erwähnt. Dank ihm sei es künftig nicht mehr nötig, «Datenträger und Dokumente auf dem Postweg» zu übermitteln. Das ISS ist also Teil der Revision – lehnt es das Parlament ab, sitzt das EJPD auf Geräten, die es nicht benutzen darf.
EJPD setzt Internetfirmen unter Druck
Obwohl noch die Revision läuft, treibt auch der EJPD-Dienst Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (ÜPF) das ISS voran. Das ist ungesetzlich und schadet der Wirtschaft. Damit die neue Anlage überhaupt funktioniert, muss sie Zugriff auf Tausende Datenströme in Telefonleitungen, Glasfaserkabeln und TV-Verbindungen haben. Mit einem eingeschriebenen Brief hat der Dienst vorletzte Woche den 650 Internet-Dienstleistern mitgeteilt, sie müssten «bereits heute in der Lage sein», modernste Überwachungen durchzuführen. Also auch von E-Mail-Verkehr und Internettelefonie in Echtzeit. Das hat der Überwachungsdienst bisher nicht verlangt, weil er zur Auswertung solcher Daten gar nicht in der Lage war. Jetzt soll es plötzlich schnell gehen: Wer noch nicht über die Technologien verfüge, solle «unverzüglich Kontakt aufnehmen», heisst im Brief, der der Weltwoche vorliegt. In Kürze werde die Verbindung getestet.
Das Vorgehen des EJPD ist problematisch:
1 — Es verlangt von Hunderten Internetfirmen, teure Anlagen zu installieren – und zwar auf Vorrat. Möglicherweise werden sie gar nie genutzt. Denn die meisten Überwachungen betreffen nur die vier grossen Provider.
2 — Dass sämtliche Internetanbieter eine solche stehende Abhörverbindung zum Bund aufbauen müssen, ist erst im Entwurf zum neuen Gesetz vorgeschlagen. Bisher mussten das nur konzessionspflichtige Firmen mit mehreren Zehntausend Kunden tun. Doch das EJPD wendet die neue Definition bereits heute an.
3 — Und das EJPD will die Überwachung von Internet- und E-Mail-Verkehr sowie der Internettelefonie an eine alte Anlage anbinden, die in einem Jahr durch das soeben bestellte ISS ersetzt werden soll. Die erneute Umprogrammierung wird wohl weitere Kosten in Millionenhöhe zur Folge haben.
Etliche Schweizer Internet-Provider weigern sich, der EJPD-Anordnung Folge zu leisten. Nicht nur weil das Departement die laufende Gesetzesrevision vorwegnimmt und den demokratischen Prozess missachtet, sondern auch, weil es die Privatunternehmen wirtschaftlich stark belastet: Alleine die Installation der neuen Anlagen kostet mehrere Hunderttausend Franken. Und bei jeder Techno- logie, die eine Firma ihren Kunden künftig neu anbieten will, muss sie sogleich auch in neue teure – und möglicherweise unnütze – Überwachungsgeräte investieren. Für KMU ist das existenzbedrohend. Einige der kleineren Firmen sagen, sie würden die angedrohten Geldstrafen riskieren – das EJPD treibe sie ohnehin an den Rand des Ruins.
Überwacher «praktisch taub und blind»
Auch aus einem weiteren Grund protestieren viele Schweizer Internetfirmen gegen das Departement von Eveline Widmer-Schlumpf: Was das EJPD verlange, sei gar nicht umsetzbar, weil die technischen Anweisungen «völlig mangelhaft» seien. «Wir haben keine Ahnung, wie wir die Überwachungsdaten dem ÜPF übermitteln sollen», sagt ein Informatiker eines mittelgrossen Providers.
Selbst wenn die Internetfirmen die Überwachungstechnologie trotz hoher Kosten und mangelhafter Richtlinien anschaffen wollten, komme ihnen das EJPD nicht entgegen. Denn, so der Informatiker: «Die sagen uns nicht einmal, welche Geräte wir anschaffen sollen.» Das EJPD entgegnet, das sei «aus beschaffungsrechtlichen Gründen» nicht möglich.
Den Aufbau einer mächtigen elektronischen Abhöranlage befürworten viele in der IT-Branche eigentlich. So haben Vertreter der Internet-Dienstleister im letzten Jahr dem EJPD geholfen, das ISS zu planen. Die meisten haben die Gespräche abgebrochen. «Was dort an technischen Richtlinien und Standards produziert wird, ist grösstenteils unbrauchbar», sagt einer, der mit dem EJPD verhandelte.
Die Leistung des ÜPF-Dienstes bleibt auch mit dem neuen, millionenschweren und rechtlich zweifelhaften ISS bescheiden. Oder wie Insider sagen: «Praktisch taub und blind.»
Von Daniel Glaus
Eyeyey. Das ist unschön.
das ist doch mal wieder typisch! reicht es nicht langsam mit polizeistaat?? bald kriegen wir sicher eine fussfessel, das kommt wahrscheinlich noch günstiger als das zweifelhafte ISS, und jeder schweizer hätte noch etwas davon *lol*
ich bins jedenfalls leid, dass man als schweizer in einer demokratie lebend, nicht entscheiden kann, was mit den steuergeldern gemacht wird. eins ist sicher, die schweizer hätten dies nie und nimmer bejaht. @ widmer-schlumpf es gibt wohl wichtigere themen, um die Sie sich kümmern sollten, anstatt steuergelder auszugeben, ohne jegliche gesetzesgrundlage für das objekt der begierde! aber eben locker den geldbeutel zu ziehen ohne sich gross gedanken zu machen, ist ja schon fast eine tradition. das militär machts nicht anders!