Der traurige Fall des Luca Mongelli

Nur wenige WalliserInnen können sich noch an den Vorfall in Veysonnaz erinnern, als ein kleiner Junge nackt in einem Schneefeld gefunden wurde. Der Junge Luca, der seit diesem Tag blinder Tetraplegiker ist, möchte einfach nur dass die Walliser Justiz in ernst nimmt. Der Fall ist so dermassen exemplarisch für die Missstände eines von Vetternwirtschaft zerfressenen Kantons, dass er mal in allen Details ausgebreitet werden muss.

Heute lebt Luca in Italien mit seiner Mutter und seinem Bruder Marco und kämpft mit Physiotherapie gegen die Folgen seiner Misshandlung, besucht die normale Schule. Dass er noch lebt, grenzt an ein Wunder:

Für tot gehalten

Der damals siebenjährige Luca Mongelli war von seiner Mutter am 7. Februar 2002 bewusstlos und nackt in der Nähe ihres Chalets in Veysonnaz gefunden worden. Der Familien Hund Rocky sei ihr entgegengelaufen, habe sie am Ärmel gepackt und sie zu ihren Söhnen geführt. Sie brachte den schwerverletzten Luca in ein Chalet in der Nähe. Dorthin kamen zwei Sanitäter und später ein Arzt. Alle dachten, Luca sei tot. Der Arzt spritzte Adrenalin, doch nichts geschah. Der Krankenwagen fuhr ohne Sirene zum Spital in Sion. Erst eine Blutuntersuchung zeigte, dass Luca noch lebt.

Es gibt eine Maschine, die das Blut aufwärmen kann, doch das Equipment in Sion hatte nicht die richtige Dimension. Es vergingen 90 Minuten, bis man wusste, in welchem Spital man Luca behandeln konnte. Man flog die Familie mit dem Hubschrauber nach Genf, es war mittlerweile 23 Uhr. Aus diesem Grund war Luca insgesamt 5 Stunden unterkühlt. Luca lag nach diesem Abend im Koma, es hiess, er sei  hirntot. Die Familie hatte die Organspende autorisiert und die Ärzte stellten die Maschine ab. Statt zu sterben, begann Luca, selber zu atmen. Drei Monate lag er noch im Koma, dann ist er plötzlich aufgewacht. Nach und nach begann er wieder zu reden, obwohl das laut Ärzten nicht möglich sein sollte.

Desaströse Ermittlung

Am gleichen Abend wurde der kleine Bruder, der sich während des Vorfalls hinter einem Baum versteckt hatte, von der Polizei auf suggestive Weise befragt: «War niemand dabei?» Auf seine Antwort «ja» sagte man: «Also war niemand dabei?», worauf er «nein» sagte. Der Polizist, der den Unfallort untersuchen sollte, war nur 10 Minuten vor Ort, das geht aus dem Rapport hervor. Am gleichen Abend, um 21.45 Uhr, gab die Polizei eine Medienmitteilung heraus, dass der Hund den Sohn verletzt hatte. Am Tag nach dem Unfall rief  ein Polizist an und sagte, es gebe keine Fussspuren. Der Vater teilte dem Polizist mit, dann sei er wohl am falschen Ort gewesen, da die Fussspuren der Mutter vom Vortag noch da sein mussten, weil sie Luca vom Feld holte. Es stellte sich heraus, dass der Polizist am falschen Ort war. Am richtigen wimmelte es von Spuren von Neugierigen, die sich schon alles angesehen hatten weil die Stelle nicht von der Polizei abgesperrt wurde.

Opferaussage irrelevant

Als Luca aus dem Koma erwachte, rief die Familie den Richter an, man könnte ihn befragen. Keiner kam. Zum Arzt sagte Luca, ein grosser Mann, der Deutsch redete, habe ihn in den Schnee gestossen. Der Richter liess darauf wissen, Stossen sei nicht strafrechtlich relevant. Er nannte auch zwei Vornamen. Er erzählte, dass die ihm etwas angetan hatten, die ihn gezwungen hatten, «Ameisen zu trinken». Wer die Jugendlichen waren, liess sich eruieren. Luca habe sie in der Folge eindeutig identifiziert. Es handle sich um drei Brüder, die damals 16, 14 und 11 Jahre alt waren und deren 9-jähriger Cousin. Es wird gemunkelt, es handle sich dabei um die Söhne zweier einflussreicher Familien aus Sion.

Luca Mongelli erzählte, dass sich die Jugendlichen über ihn genervt hatten, weil er sie ständig verfolgt habe. «Luca wollte Teil der Gruppe sein, er schlich in ihr Chalet. Sie rannten ihm hinterher», so Reichenbach. «Luca erzählt, dass ein Grosser ihn zu Boden drückte und ihm die Kleider wegriss. Dann hielten sie ihn in einer mit Schnee gefüllten Mulde und schlugen ihn mit Stöcken.»

Der Untersuchungsrichter hielt Luca Mongelli für unglaubwürdig, «weil er im Koma gelegen hatte». Die Jugendlichen wurden zwar befragt, die Ermittlungen wurden jedoch bald eingestellt, weil sie angaben, an jenem Tag in der Schule in Lausanne gewesen zu sein. Die Direktoren der Schulen bestätigten dies. Ein Zeuge gibt jedoch an, die Jugendlichen am späten Nachmittag in Veysonnaz gesehen und nach Granges gefahren zu haben.

Anonyme Drohanrufe

Der damalige Anwalt der Familie erhielt anonyme Anrufe, er solle das Mandat im Fall Luca niederlegen, was er aus Angst um seine Familie auch getan hat.

Verschwundene Beweismittel

Der leitende Kinderarzt des Spitals Sion erwähnte nicht, dass grünliche Rückstände auf Luca Mongelli gefunden wurden. Eine Person, die an jenem Abend im Spital anwesend war, bestätigt der Zeitung «Nouvelliste», dass sie in Anwesenheit eines Arztes diese Rückstände gesehen habe. Man habe sogar ausschliessen können, dass es sich um eine menschliche Ausscheidung handle. Es hätte sich gut um Slime handeln können, sagt diese Person zum «Nouvelliste» vom 14. Oktober 2010, eine schleimige Substanz, mit der Kinder spielen. Die Substanz taucht unter den Beweismitteln nicht auf.

Ignorierte Gutachten

Eine Veterinärin war vom Gericht beauftragt. Sie schreibt auf 22 Seiten, was sie untersucht hat, und kommt zum Schluss, dass es unmöglich der Hund war. Aber der Richter hat 21 Seiten ignoriert und nur ihre Aussage berücksichtigt, dass der Hund nicht geschult sei. Die Expertin regte sich so darüber auf, dass sie dem Fernsehen Auskunft gab. Sie erhielt umgehend eine Strafklage, weil sie über ein noch hängiges Verfahren gesprochen hat. Der Richter versuchte zu beweisen, dass der Hund Luca ausgezogen hat. Sieben Berichte musste er aber verwerfen, weil es schlicht nicht sein konnte. Dann kam die These, dass Luca sich selber ausgezogen hat.

Der Untersuchungsrichter sandte die Kleider in drei Labors. Die Institute schrieben, die Anwesenheit Dritter könne nicht ausgeschlossen werden. Ebenso wenig berücksichtigt wurde die Aussage einer Kinderärztin, die Lucas Bruder Marco untersucht hatte. Der damals Vierjährige hatte ihr gesagt: «Rocky hat gebissen. Jemand hat Luca weh getan.» Die Ärztin sagte ausdrücklich, sie könne die Einwirkung Dritter nicht ausschliessen.

Parteiische Expertenauswahl

Am 14. Oktober 2010 reichte der Vater Nicola Mongelli in Sion eine Petition mit 9343 Unterschriften ein mit dem Auftrag an die Walliser Staatsanwaltschaft, das «Dossier Luca» wieder zu eröffnen. Auslöser der Petition war eine Zeichnung gewesen, die Marco drei Jahre nach dem traumatischen Ereignis in der Schule gemacht hatte.

Untersuchungsrichter Dubuis erkor drei Experten um die 3 Jahre später entstandene Zeichnung von Lucas kleinem Bruder zu beurteilen um zu entscheiden, ob der Fall neu aufgerollt wird. Die Wahl von zwei der drei Experten ist jedoch nicht nachvollziehbar: Der Experte Paul Bensussan wurde von der Fondation Luca bereits im Vorfeld angefragt, ob er die Zeichnung von Lucas Bruder beurteilen könnte. Der Psychologe Bensussan antwortete in einem E-Mail vom 21. Oktober 2010: «Es scheint mir nötig, Ihnen mitzuteilen, dass ich kein Kinderpsychiater bin, und, vor allem, dass ich kein Spezialist in der Beurteilung von Kinderzeichnungen bin : Deshalb bin ich wahrscheinlich nicht der Geeignete, um Ihnen die Beurteilung zu geben, um die Sie bitten». Der andere Wakelkandidat ist Phlip Jaffé, der bereits im TSR eine voreingenommene Meinung geäussert hat. Der dritte Experte war ein Kanadier, der kaum italienisch sprach.

Nun hat das Bundesgericht Luca und seiner Familie Recht gegeben und der Fall wird – mit einem neuen Expertenteam – neu aufgerollt. Die Walliser Justiz hat noch einmal die Möglichkeit Antworten zu liefern:

Warum stand der Schuldige fest, obwohl Experten massive Zweifel äusserten? Und warum wollte das Gericht dem Opfer nicht glauben?

Quellen:

Interview mit dem Vater

Artikel zur Zeichnung und der Petition

Offene Fragen zum Fall

Artikel zur Expertengruppe

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