Zeit ist zum Problem geworden: Unsere klägliche Lebensspanne, die einem Überangebot an Welt gegenübersteht, versetzt uns in die Angst das Beste oder das Wichtigste zu versäumen. Vom ‚richtigen Umgang mit der Zeit’ erhofft man sich Entlastung: Gemeint ist damit die Bemühung, die Zeit besser auszunutzen um sich durch Techniken der Selbstbeschleunigung mehr Welt in kürzerer Zeit einzuverleiben.
Zeit stehlen
Da ist einmal die Macht, die dadurch ausgeübt wird, dass sich die einen an der Lebenszeit der anderen bedienen. Jenseits einer kritischen Geschwindigkeit kann niemand Zeit ‚sparen’, ohne dass er einen andern zwingt, Zeit zu ‚verlieren’. Dieses Zeitraffen benachteiligt in einem System fehlender Chancengleichheit, diejenigen die zurückbleiben. Das Prinzip des Mitverbrauchs von anderer Leute Lebenszeit erhält übrigens in den Zeiten des Niedergangs der Arbeit enormen Auftrieb: Diejenigen, die ihre Arbeitskraft fürstlich vergütet bekommen, lagern die niederen Tätigkeiten ihres Alltags beispielsweise öfter aus: So können sie zum Beispiel für eine Stunde eigener Arbeit 10, 12, 20 oder mehr Stunden Arbeit anderer einkaufen. Es dreht sich alles darum, seinen Zeitvorteil dadurch zu wahren, dass man Anderen in ihren Zeitansprüchen zuvorkommt. Zuvorkommen ist in der Konkurrenzgesellschaft der Beschleunigungs- und Wachstumsmotor schlechthin. Angesichts der immer knapper werdenden Arbeit, ist man um Rechtfertigungen ohnehin nicht verlegen, denn Erpressung ist zum Normalverhältnis zwischen denen, die Arbeit zu vergeben haben, und denen, die auf sie angewiesen sind, geworden.
Zeit bewirtschaften
Da ist noch die Macht, die wir über die Zeit zu gewinnen versuchen, indem wir sie messen, kalkulieren, bewirtschaften und eine Welteinheitszeit installieren damit die Zeit überall gleich tickt, damit sie durchgeplant und ordentlich über sie Buch geführt werden kann um sie kompatibel mit der anderen Welteinheit, dem Geld, zu machen. Damit wird sie zur knappen Ressource erklärt, die man unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten organisieren kann und muss. Erst dadurch, dass die Zeit für knapp erklärt wird, lässt sich aus ihr Profit schlagen. Denn nur die knappe Zeit heizt Produktion und Konsum an und schafft ein unersättliches Bedürfnis nach mehr Zeit. Knappe Zeit sorgt dafür, dass nur noch zwei Sorten des Tätigseins möglich sind: Produzieren und Konsumieren. Denn beide sparen, so die Verheissung, Zeit. Aber die Beschleunigung ist in Wahrheit zeitraubend. Sie schafft beileibe keine freie Zeit, sondern führt zur Suche nach dem letzten unverwalteten Augenblick. Wieviel Zeit bleibt uns, wenn wir unsere Pflichten im Dienste der maximalen Ausschöpfung der Lebensmöglichkeit absolviert haben?
Zeit sparen
Eile ist etwas anderes als Schnelligkeit. Schnelligkeit kann der Lust an der Bewegung entspringen. Was wäre eine Beethoven-Symphonie ohne ihre schnellen Sätze. Eile aber hat ein Ziel vor Augen, das in geringstmöglicher Zeit erreicht werden soll. Und so ist Eile immer Nährboden für Irrtum und Gewalt denn wenn ‚Vorwärtskommen’ die Devise ist, dann werden unversehens alle Ziele, alles Erstrebte, alle Dinge und alles Tun zum Mittel herabgewürdigt. Sie sind ja jeweils nur die Vorstufe, die Voraussetzung, die notwendige Bedingung dessen, das dann folgen soll. Die Welt wird zur Dienstbarkeit für Zukünftiges erniedrigt.
Fazit
Die Frage nach unserem Umgang mit der Zeit ist vielleicht die schwierigste aller Menschheitsfragen. Diese Frage unterstellt, dass die Zeit etwas ist, womit wir umgehen könnten. Unsere Sprache ist da sehr verräterisch: wir wollen oder sollen Zeit sparen, gewinnen, haben, vermehren, uns nehmen, aber dann auch wieder vertreiben oder sogar totschlagen. Aber all dies ist reine Illusion. Die Zeit steht für solche Übergriffe nicht zur Verfügung, denn sie steht uns nicht als Objekt möglicher Bemächtigung gegenüber. Sie ist nichts, was wir anfassen oder begreifen können und folglich können wir mit ihr nicht umgehen, weder recht noch schlecht. Dies schon mal zur allgemeinen Beruhigung!
Was könnte es heissen, der Knappheit der Zeit nicht Macht über uns geben? Durch Beeinflussung unserer Betrachtung der Zeit könnten wir zumindest unsere Erfahrung von Zeit zu unseren Gunsten verändern. Aus wirtschaftlicher Sicht ist es natürlich Unfug die gesamte und ungeteilte Aufmerksamkeit auf eine Gegenwart zu richten, die an Haltbarkeit kaum unterboten werden kann, doch im Grunde verhält es sich so: Die Vergangenheit ist nicht mehr, Zukunft noch nicht und die Gegenwart auf den Umschlag von der Zukunft in die Vergangenheit gedrängt (). Nichts ist also so knapp wie das Jetzt. Wer sich auf das Hier und Jetzt konzentriert, kann sich Ewigkeit überhaupt erst vorstellen und bekommt damit wohl das, was wir eigentlich wollen.