In letzter Zeit häufen sich die Meldungen über religiöse Konflikte in der Schweiz. Der christliche Umgang mit diesen Konflikten ist nicht nur eindrücklich sondern auch bezeichnend:
- Ein deutschstämmiger Vater in Triengen LU verlangte die Entfernung der Kruzifixe aus den Schulzimmern, in welchen seine Kinder unterrichtet werden. Die Gemeinde hat die Kruzifixe durch Kreuze ersetzt da das Bundesgerichtsurteil, auf das sich der Vater berufen hat, lediglich Kruzifixe erwähnt. Nachdem der Vater nicht nachgeben wollte und auch gegen das Kreuz im Schulzimmer vorgehen wollte, häuften sich die Drohungen an seine Familie, welche mittlerweile aus Furcht vor den Übergriffen radikaler Christen die Schweiz verlassen musste. Ist das die vielbesungene gelebte Nächstenliebe?
- Ein Lehrer im Wallis hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Walliser Schulen nicht nur durch die Kruzifixe in Schulzimmern, sondern auch durch die Organisation von Sakramentalen Feiern keine religiöse Neutralität vermitteln, wie dies in der Bundesverfassung der Schweiz vorgeschrieben ist. Er wurde unter fadenscheinigen Gründen fristlos entlassen und erhält Morddrohungen, Selbstmordaufforderungen und andere Post von FanatikerInnen die ich hier nur zugern an den Pranger stellen würde wenn ich kein Gewissen hätte.
Obschon von Kruzifixen und Kreuzen die Rede ist, geht es bei der ganzen Kontroverse noch um etwas ganz anderes: Respekt. Es geht nicht einmal mehr um die Integration von Migranten, es geht sogar bereits um die Nicht-Segration anders denkender Mitbürger:
Während man in Triengen noch „den Deutschen“ wieder nach „Schland“ verschicken wollte weil er die „regionalen Gepflogenheiten“ nicht akzeptieren wollte, wird dem gekündigten Lehrer im Wallis und der regionalen Freidenker Sektion die er präsidiert Fundamentalismus, Extremismus und Missionierung von der CVPO vorgeworfen.
Es war auch die CVPO welche wochenlang ein hartes Durchgreifen zum Erhalt der „Tradition“ aufgerufen hatte (Fundamentalismus) und dabei in Kauf genommen hat, sich gegen die Bundesverfassung auszusprechen (Extremismus), und dies um eine bestimmte Religion zu propagieren (Missionierung).
Im Wallis wird eine bewusste Segration betrieben: Wem’s nicht passt, der kann ja gehen. Und wem’s passt, dem wird’s unpassend gemacht. Und auf dieser Schiene fahren die Politiker auch prächtig. Die SVP und die CVP toppen sich gegenseitig im Walliser Bote Parteienforum mit Propaganda, Polemik und Populismus. Sie haben auch erkannt, dass sich Meinungen leicht aus Angst generieren lassen – wahrscheinlich haben sie ein klein wenig vom Christentum abgeschaut welches mit Angstmacherei auch ganz gut fährt.
Ihre Hauptargumente:
die „Tradition“:
Immer wieder betont man, wie wichtig dir Religion für die Kultur des Kantones sei. Immer wieder lässt man ausser acht, dass überhaupt niemand die Religion abschaffen, sondern einfach nur den Staat religionsneutral machen will. Wenn der Staat mit seinen Ämtern und Beamten alles ist was von der Walliser Kultur übrig ist, dann hat das Wallis eh nichts mehr zu verlieren.
die „Mehrheit“:
„Aber hier im Wallis sind doch 90% der Leute katholisch!“ Freut mich, und das bedeutet dass die anderen 10% einfach unterschlagen werden? Abgesehen davon existiert noch eine ganz andere Mehrheit, und zwar diejenige der Schweiz. Für viele Walliser endet die Schweiz zwar an den Kantonsgrenzen, aber EIGENTLICH ist das Wallis ein Kanton des Bundes der Schweiz, auch wenn das einigen WalliserInnen nicht passt. Auch ausserhalb des Wallis existiert noch ein winziges Fitzelchen Schweiz welches rein zufällig für die Bundesverfassung einsteht. Und wenn wir dieses „Bisschen andere Schweiz“ dem Wallis gegenüberstellen, so ist das Kleinbürgertum unterlegen. Alles eine Frage des Horizontes.- wie so oft.
das „Gesetz“:
Besonders die SVP ereifert sich darin auf das Kantonale Schulgesetz zu bestehen. Dabei ist doch das – gelinde gesagt – so lächerlich wie ein Mieter, der sich weigert eine neue Wohnung zu suchen obwohl der Vermieter im längst mitgeteilt hat, dass die Wohnung weiterverkauft ist und der Käufer selber einziehen will. Vielen WalliserInnen geht es ja gehörig auf den Sack dass sie von den „Bünzlis“ immer wieder „regiert“ werden. Sie werden nicht müde zu sagen, dass „hier“ eben alles „ganz anders“ ist und die Konzepte der „Ausserschweiz“ für das Wallis nicht stimmen würden. Aber die Subventionen aus der Ausserschweiz, die stimmen immer nicht schlecht; könnte mehr sein, aber ist schon ok so. Eigentlich wissen die Walliser dass man nicht immer „ds Füfi und ds Weggli“ haben kann, aber ein Versuch kann ja offenbahr nicht schaden.
die „Werte“:
Christliche Werte? Also meint man jetzt damit die Humanistischen und Wissenschaftlichen Werte welche die Kirche zwecks Popularitätssteigerung kurzerhand adaptiert hat oder meint man damit die „echten“ Christlichen Werte,.- also diejenigen, bei denen die Kirche sich dem Humanismus und der Wissenschaft doch noch nicht angleichen wollte? Homophobie, fragwürdige Geburtenkontrolle, Frauenunterdrückung, Kreationismus?
In den Debatten im Wallis zeigt sich immer wieder von neuem was mit Menschen passiert, die man ein Leben lang einer religiösen Gehirnwäsche unterzogen hat: Jahrelang hat man ihnen beigebracht dass alles Gute von der Religion kommt, statt ihnen auch beizubringen, dass Religion aufgrund des Absolutheitsanspruches ein gefährliches Potential in sich trägt um gute Menschen dazu zu bringen, schlimme Dinge zu tun (in der Hoffnung, damit „Gott“ zu gefallen).
Dass Aufklärung (das Aufbegehren gegen den Absolutheitsanspruch der Kirche), der damit einhergehende Humanismus (ein vom Menschen entwickeltes Konzept für das Miteinander) und die Wissenschaft (welche so praktische Dinge wie Autos und Medizin zu Tage gefördert hat) viel dazu beigetragen hat dass die Leute heute weniger oft „beten“ müssen, wird einfach unterschlagen denn dies hätte ja zur Folge, dass der Unterricht ganz ohne das Anbeten eines Gottes auskommen könnte.
Das Kleinbürgertum ist der neue Feind des freiheitlichen Staates geworden. Christliche Leute die behaupten dass ein Kreuz ja keine religiöse Bedeutung hat, es aber unbedingt im Klassenzimmer haben wollen, Menschen deren kleine Welt nur soweit reicht wie das Auge sehen kann, Menschen die in allem Fremden die Gefahr wittern statt Potential zur persönlichen Weiterentwicklung.
Zur Symbolik des Kreuzes nur ein paar Fragen: Niemand stört sich am Kreuz, weil, wie wir kürzlich erfahren haben, das Kreuz gar kein christliches Symbol ist, sondern bereits bei den Höhlenmenschen bekannt war? Und hat nun das Hakenkreuz nichts mehr mit dem Nationalsozialismus zu tun, weil es schon die Ägypter kannten?
Das Fremde als Bedrohung zu sehen, ist eine typische Reaktion des kleinbürgerlichen Milieus, das sich in seinem Status eigentlich von allen Seiten bedroht sieht. Wer weltoffen ist, sieht im Fremden eher eine Chance als eine Bedrohung. Wer konservativ ist, möchte an den Gegebenheiten nichts ändern. Er hat Angst, in einer neuen Welt nicht mithalten zu können und dadurch seinen Status zu verlieren. Der konservative Kleinbürger ist – und war es schon immer – ein gefühlter Modernisierungsverlierer. Er sieht nicht nur im Fremden, sondern auch im Neuen eine Bedrohung. Diese defensive Grundeinstellung findet erst dann wieder konstruktive Bahnen, wenn das Fremde zum Vertrauten, das Neue zum Gewohnten wird.
Mit der Globalisierung ist die Welt schneller geworden. Die Welt des Kleinbürgers ist nicht nur enger, sondern auch unübersichtlicher und unkontrollierbarer geworden. Der kleinbürgerliche Horizont, der ungefähr so weit reicht, wie man vom Kirchturm blicken kann, ist das letzte konservative Refugium in einer unsicheren Welt, in der man mit einem Mausklick nicht nur Milliarden verschieben, sondern auch weltweit kommunizieren, lernen und kulturelle Barrieren abbauen kann. Dieses Refugium will der konservative Kleinbürger mit allen Mitteln verteidigen.
Das konservative Kleinbürgertum ist jedoch nicht nur ein besonderer soziologischer Mikrokosmos, sondern auch die Wählerbasis der Volksparteien. Wer gewählt werden will, muss auch das Kleinbürgertum ansprechen. Wer „die Menschen mitnehmen“ will, hat dabei schlechte Karten, wer den Biertischdemagogen gibt, erreicht auch den Kleinbürger. Dabei ist provinzieller Konservatismus selbst abseits der Basis eigentlich kaum mehr als ein Mittel zum Zweck, ein Köder, um Wahlvieh zu fangen.
Auszug aus heise.de „Die Angst des Kleinbürgers vor dem Fremden“