Japanische Hochtechnologie versus Amerikanische Allmacht

Dem Ziel, eine vollständige computerisierte Welt (dokodemo konpiutâ sekai) zu schaffen, sind wir ein Stück näher gekommen.“ So begann Sakamura Ken, Professor an der Universität Tôkyô, seinen Vortrag über das Betriebssystem (OS) TRON, das von ihm im Jahr 1984 entwickelt worden war. Am 2. Juni 2004 wurde die Vortragsreihe „Jahre Tron“ eröffnet. Die in einem Hotel in der Präfektur Tôkyô versammelten Top-Manager von IT-Großunternehmen wie NEC und Fujitsu haben die Veranstaltung interessiert verfolgt.

Professor Sakamuras Ziel war es, durch die überall mögliche Verbindung zu Netzwerken und die permante Verfügbarkeit von Informationen für jedermann eine „allgegenwärtige Gesellschaft“ (ubiquitous society) zu erreichen. Als letzte Trumpfkarte für die Verwirklichung dieses Konzepts knüpfte er Hoffnungen an die IC-tags.

Die etwa sandkorngroßen integrierten Schaltkreise enthalten Wareninformationen und haben kleine, Informationen sendende Antennen, auch elektronische Gepäckanhänger(nifuda) genannt. Das IC-tag ist der Klebstoff, der die Dinge (mono) und Informationen verbindet, erklärt Professor Sakamura.Für die Realisierung der „allgegenwärtigen Gesellschaft“ ist er unverzichtbar.

Im Juni 2002 wurde das T-Engine Forum, eine gemeinsame Organisation zur Verbesserung von Tron, ins Leben gerufen. Auch eine Konferenz zur Vereinheitlichung der Standards von IC-tags in mobilen, auf Tron basierenden Systemen, wurde abgehalten. Zu Beginn waren lediglich 22, später dann 450 Firmen beteiligt, unter denen nun auch ausländische Großunternehmen vertreten waren.

METI fördert amerikanischen Industriestandard

In Japan schreitet aber die Realisierung eines Plans voran, der die internationale Vereinheitlichung der Standards behindern muß. Es ist das Hibiki Project unter der Führung des japanischen Ministeriums für Wirtschaft und Industrie (METI). Seit dem Jahr 2004 werden in einer Spanne von zwei Jahren 1,3 Milliarden ¥ an Steuergeldern investiert werden. Auch Ausgaben seitens der Firmen sollen zu dem Versuch genutzt werden, einen internationalen Standard zu entwickeln. Unter dem Motto (Ein IC-tag für 5 ¥ pro Stück) konzentriert sich die Hoffnung auch auf die Fertigungstechniken der japanischen Halbleiterproduzenten.

Der Standard des Hibiki Project wurde u. a. von Professoren des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und der amerikanischen Wirtschaft entwickelt und wird augenblicklich von der EPC Global-Organisation als Standard eingeführt. Auch die weltgrößte Supermarktkette Walmart Stores hat seit dem letzten Jahr mit der praktischen Erprobung dieser Technologie begonnen.

Der japanische und der amerikanische Standard unterscheiden sich jedoch wesentlich.

Das größte Ziel von Walmart ist es, mit dem neuen System die verschiedenen Stufen des Distributionssystems einzuebnen und den Diebstahl in den Warenlagern zu verhindern. Das IC-tag kann auch in mehreren Metern Entfernung von den Terminals gelesen werden, indem Radiowellen im ultrahohen Frequenzbereich verwendet werden. Es soll ein Programm geschrieben werden, das prompt erkennt, wenn die Waren von der vorgeschriebenen Position wegbewegt werden.

Dem gegenüber hat der von Professor Sakamura angestrebte Standard als Hauptziel, als Medium den Konsumenten unter anderem die Herkunft der Waren, die Art und Weise ihrer Nutzung und ihre Spezifikation zu übermitteln. Auch die verwendeten Radiowellen sind unterschiedlich. Ein Vorteil auf japanischer Seite ist, dass die Firma Hitachi als Produzent die Entwicklung der etwa sandkorngroßen und damit weltweit kleinsten tags mit großem Einsatz vorantreibt. Professor Sakamura ist überzeugt: „Unsere Technologie ist weltweit führend. Unsere Gruppe ist der praktischen Anwendung dieser Technologie am Nächsten.“

Warum nur hat das METI, obwohl es doch eine in Japan entwickelte Technologie gibt, die Verbreitung der amerikanischen Technologie gefördert? Ein Manager aus der Führungsebene eines Herstellers beschwert sich: „Wo doch unsere Technologie weltweit bewundert wird und Früchte trägt, warum wird da trotzdem die amerikanische Norm als internationaler Standard forciert? Dieses Vorgehen ist töricht und ignoriert die nationalen Wirtschaftsinteressen.“

Welches ist nun das Siegerpferd?

Im März äußerte sich Nihara Kôrô, der damalige Leiter der Abteilung für Informationswirtschaft des METI, in einem von den Wirtschaftsverbänden abgehaltenen Seminar u. a. so: „Die bessere Technologie wird sich nicht mittels eines Streits um die Standardisierung durchsetzen. Auf den Standard des Siegerpferds (kachiuma no kyôjun) zu setzen ist wichtig“, versucht er die Hersteller von dem Hibiki Project zu überzeugen.

METI sieht den amerikanischen Standard als Sieger, weil EPC Global und die Organisation zur Einrichtung internationaler Standards (ISO) bereits über die Vereinheitlichung beider Systeme diskutieren und noch in diesem Jahr einen Vorschlag für ein einziges System machen werden.

Darüber hinaus sind auch einige Vertreter der japanischen Hersteller der Meinung, dass die Standardisierung des Systems die Intentionen der amerikanischen Regierung widerspiegelt. Das amerikanische Verteidigungsministerium verwendet bereits in einem Praxisversuch IC-tag-Systeme auf einem Teil der Versorgungsrouten für das Militär. Auch denkt man dort verstärkt über die Nutzung bei Gepäcküberprüfungen im Rahmen der Terrorbekämpfung nach. Mitglieder des amerikanischen Verteidigungsministeriums nahmen sogar selbst an der ISO-Konferenz teil.

Ein Muster für die ganze Welt

Obwohl auf Tron basierende IC-tags technisch überlegen sind und die praktische Anwendung nur einen Schritt entfernt ist, haben die USA doch die Führungsposition eingenommen. Und da vermutlich das System, für welches die europäischen und amerikanischen Großunternehmen am meisten Interesse zeigen, auch zum internationalen Standard wird, scheint es daher die Strategie des METI zu sein, bei der Normierung dieses Systems (in vorauseilendem Gehorsam, d. Ü.) mitzuwirken. Ein außerordentlicher Salma-Professor des MIT, der auch die Vorgängerorganisation des EPC Global gegründet hat, sagt: „Für die Unterstützung des japanischen Ministeriums sind wir sehr dankbar“.

Direkt nach der Entwicklung von Tron, im Jahr 1988, entschied sich die japanische Regierung zunächst für Tron als Betriebssystem für Lerncomputer, jedoch wurden alle weiteren Anwendungen sofort gestoppt, als im Jahr 1989 das Außenhandelsministerium der USA (United States Trade Representatives, USTR) in seinem Bericht zu den Handelshemmnissen auf japanischer Seite Tron als ein solches bezeichnete. In der Folge schwand die Idee, rein japanische PCs zu entwickeln, schnell dahin. Die Tron-Anhänger innerhalb der japanischen Industrie wurden an den Rand gedrängt, für das Tron-Projekt geriet in große Schwierigkeiten.

Ein wenig später zeigte sich jedoch, dass , abgesehen von PCs, Tron eine höhere Reaktionsgeschwindigkeit hatte als Microsoft Windows, weshalb es verstärkt als Kontrollsystem in Automotoren und Haushaltselektrowaren eingesetzt wurde. Für Haushaltsgeräte und Autokontrollsysteme wurde. „Auch für andere ist Tron die Nummer eins in der Welt“so Professor Sakamura. Dennoch war bis zur Rehabilitierung von Tron eine Zeitspanne von mehr als zehn Jahren nötig.

Der amerikanische Softwarekonzern Microsoft, der im März diesen Jahres in die EPC Global einstieg, führt auch Gespräche mit dem T-Engine Forum. Javed Sikandar, verantwortlich für die IC-tag-Strategie bei Microsoft, äußerte sich wie folgt: „Wir unterstützen EPC Global, sind aber auch für einen anderen Standard offen. Damit die Lesegeräte kompatibel sind, würe es für uns ausreichen, wenn unsere Software die Daten empfangen könnte. Der Standard der IC-tags hängt nicht von unserer persönlichen Einstellung ab.“

Um in den späten 1980er Jahren den japanisch-amerikanischen Handelsstreit (bôeki masatsu) abzuschwächen, mußte Tron geopfert (gisei) werden. Aber die USA beharren heute mit lauter Stimme darauf, dass es für sie keinen Grund gebe, auf im eigenen Land produzierte ICtags zu verzichten . . .

Professor Sakamura sagt dazu: „Was IC-tags betrifft, kann Japan einen wichtigen technologischen Beitrag für die Welt erbringen. Als Pioniere möchten wir eine Musterlösung aufzeigen.“ 20 Jahre nach der Entwicklung von Tron wird heute womöglich der Traum von der“Allgegenwart“ Realität. Allerdings bleibt fraglich, ob Staat und Unternehmen Japans auf richtige Art und Weise für eine Verbreitung dieser überlegenen, einzigartigen Technologie in der Welt sorgen.

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