Wir stellen zunehmend fest, dass jeder eidgenössische Volksabstimmung eine Lawine von Abstimmungswerbekampagnen vorausgeht – jeweils von Befürwortern und Gegnern, in der Regel ist eine der beiden Parteien immer vermögender als die andere – es kommt ganz selten oder nur in marginalen politischen Fragen zu einem ausgeglichenen Kampf um Werbeplatz.
Dies geht sogar soweit, dass man nach Annahme der Masseneinwanderungsinitiative behauptete, die Gegner hätten zu wenig Kampagnen betrieben; als ob das Schweizer Wahlvieh wichtige demokratische Entscheidungen für die Gesellschaft anhand von Werbebotschaften fällen würde. Die Frage die sich stellt: was ist dran? Wie manipulierbar sind die Schweizer BürgerInnen? Muss man davon ausgehen, dass es tatsächlich extrem viele SchweizerInnen gibt, die sich von polemischen Einzeilern in Bahnhofsunterführungen überzeugen lassen? Wenn ich höre, was einige Kleinkindererzieherinnen so zum Thema Abstimmen sagen, muss das Schlimmste befürchtet werden:
Der Mittelstand kämpft so sehr um seine Interessen, seinen „Stand“, dass er nicht einmal bemerkt dass er längst zu „den Armen“ gehört: Familien, Alleinerziehende, Arbeitslose und Kranke kämpfen um ihre Existenz, Burnouts sind an der Tagesordnung und eine Festanstellung ist heutzutage auch nur noch eine Temporäranstellung mit längerer Kündigungsfrist. Und trotzdem hat das Schweizer Volk – im Bewusstsein all dieser Probleme – in den letzten Jahren kein einziges Mal die Gelegenheit beim Schopfe gepackt, um eine Umverteilung von Reichtum durchzusetzen. Auf die Idee, dass eigentlich die Firmen die Arbeitslosenversicherung finanzieren müssten weil ja sie mit ihrem Optimierungswahn Schuld an der Arbeitslosigkeit sind, ist auch noch niemand gekommen…
Als es darum ging, dass man in der Schweiz 6 Wochen Ferien einführen möchte, hat das Volk sich geweigert. Nicht weil wir mit unserer Zeit nichts anzufangen hätten, sondern weil die Arbeitgeberverbände mit offenen Drohungen vor das Volk getreten sind: mantra-artig wurde „Wenn ihr 6 Wochen bezahlte Ferien wollt, dann verliert ihr eure Jobs“ heruntergeleiert. Und als die 1:12 Initiative kam, hiess es „Wenn der Chef nur nochz 12mal soviel verdient wie die Putze in seiner Firma, verlierst du deinen Job“. Auch die Mindestlohnitiative wird tapfer bekämpft mit den Worten „Wenn die Firmen allen soviel bezahlen würden, dass sie davon leben können, verlierst du deinen Job“.
Es sind immer die Arbeitgeber und die vermögenden Menschen (unter denen sich eine erhebliche Schnittmenge befindet), die überdurchschnittlich gut wegkommen wenn es um öffentliche politische Fragen geht, die ihre Privilegien beschränken könnten oder die Rechte von Armen und Arbeitnehmern (worunter sich ebenfalls eine wachsende Schnittmenge befindet) erweitern würden. Die Zementierung ihrer Privilegien sichern sich die Reichen mit teuren Werbebotschaften und Parolenplakaten. Nur sie verfügen über genügend Kapital um die Regierung mit politischen Strohmännern zu verseuchen um soziale Vorlagen im Keim zu ersticken und die Bevölkerung mit Werbekampagnen förmlich zuzuscheissen. Bedauerlicherweise war in der Schweizer Bevölkerung nicht einmal genügend Interesse vorhanden, um die Offenlegung von wirtschaftlichen Beziehungen von Politikern zu verlangen.
Demokratie ist ein System, in welchem jede Person das gleiche Einflusspotential besitzt, jeder ist genau gleich – unabhängig vom Kontostand. Dieses System kann als Diktatur der Mehrheit verstanden werden, doch de fakto zeigt sich uns ein ganz anderes Bild: trotz Demokratie ist eine Diktatur durch eine (reiche) Minderheit entstanden: Heute unterstützt der Staat – der grossteils von einer weniger vermögenderen Mehrheit finanziert wird – nun Menschen mit einer Vollzeitstelle, damit sie über die Runden kommen können, während sich die Vermögen auf den Konten einer reichen Minderheit mehren. Eine – hauptsächlich – vom Mittelstand durchfinanzierte Armut: ein kaffendes Loch, das er sich höchstpersönlich gräbt um dann ordnungsgemäss hineinzufallen – Oroboro.
Wie kam es zu dieser Diktatur einer Minderheit in einer Demokratie, die ganz anders angedacht war? Wie kann man eine Mehrheit dazu bringen, sich dem Willen einer Minderheit zu unterwerfen? Mit diesen einschüchternden Machtdemonstrationen wird Angst erzeugt:
Arme Menschen sind heute unsere grössten Feinde, denn das sind die Leute an die unser Chef unseren Job weitergeben würde, würden wir uns weigern zu seinen Konditionen zu arbeiten. Schuld sind nie die Schweizer Arbeitgeber oder die heiligen „KMU“s; Schuld sind immer die Mindestlohnbezüger, die sich erdreisten den SchweizerInnen Jobs wegzunehmen, die sie ohnehin nicht machen wollen. Die letzten Abstimmungsresultate zeigen, dass der Plan voll aufgeht: Terror funktioniert. Kurioserweise sind Verträge, die man unter Drohung unterzeichnet, nichtig – Abstimmungszettel sind da offensichtlich ausgenommen.
Aber vielleicht läuft ja doch der eine oder die andere an einem Werbeplakat mit der „richtigen“ Parole vorbei und stimmt zufällig „richtig“.